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Kinderwunsch

Im Rahmen meiner Ausbildung zum Gynäkologen habe ich 2 Jahre im Kreisssaal verbracht. Man war dort mit Schleusen und grüner Kleidung von der Außenwelt abgeschnitten und konnte sich ganz auf die gebärenden Frauen konzentrieren. Dabei lernte man auch ganz merkwürdige Frauen und Paare kennen.

Eines nachts kam eine ledige Frau zur Entbindung. Das war damals noch ein Makel. Schön war sie wirklich nicht, übergewichtig, kurzgliedrig und pickelig. Die Augen blickten in unterschiedliche Richtungen, so dass man nicht genau wusste, wohin sie gerade blickte. Nach dem Kindsvater befragt sagte sie "Er hieß Jonny und war ein Seemann." Sie würde also mit dem Kind allein sein. Wir hatten alle Mitleid mit dieser Frau, die von der Natur offensichtlich benachteiligt und von einem anonymen Mann gewängert worden war. Dann wandte sie sich plötzlich an mich und sagte "Herr Doktor, es ist ein Wunschkind! Dieses Baby ist mein größtes Glück."

An einem anderen Tag kam eine 18-jährige, ledige Frau zur Aufnahme. Sie wurde zur Entbindung vorbereitet, die Geburt stand aber noch nicht unmittelbar bevor. Dann erschien ein gut gekleideter, offensichtlich wohlhabender Endfünfziger, der erklärte, er sei der Kindsvater, was die junge Frau bestätigte. Die diensthabende Hebamme musterte ihn mit einem verächtlichen Blick, schleuste ihn dann aber doch in den Kreissaal ein. Nun erschien eine etwa 50 Jahre alte Frau und behauptete, sie sei die Ehefrau des Kindsvaters, was allgemeine Ratlosigkeit auslöste. Würde es gleich im Kreissaal zu einer heftigen Scene mit der jungen Frau und dem untreuen Ehemann kommen? Aber die junge Frau verlangte, dass die Ehefrau des Kindsvaters ebenfalls in den Kreissaal gelassen würde. Sie begrüßten sich herzlich mit Küsschen. Im weiteren Verlauf blieb das ältere Ehepaar bei der jungen Frau und unterstützte sie sehr warmherzig bis zur Entbindung. Viel habe ich nicht über die drei heraus bekommen. Die junge Frau lebte zusammen mit dem Ehepaar in einem großzügigen Eigenheim. Zunächst war sie wohl Hausangestellte, später eher Tochter des Hauses. Die Ehefrau hatte offensichtlich mütterliche Gefühle gegenüber der jungen Frau entwickelt. Jedenfalls war die junge Frau keine Leihmutter. Die drei planten, zusammen zu bleiben und das Kind gemeinsam groß zu ziehen. Ja, nicht alle Familien entsprechen unseren Vorstellungen.

Eines abends kam eine rauschgiftsüchtige Frau zur Aufnahme. Sie gab an, Opium zu nehmen (wahrscheinlich Heroin). Die engen Pupillen schienen das zu bestätigen. Auf die Frage nach der Menge des Rauschgiftes machte sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand eine kreisende Bewegung auf den Handfläche der linken Hand. "So viel!" Bei den Vorbereitungen zur Entbindung sagte sie: "Ich glaube, es wird ein Krokodil." Der Verlauf der Geburt war überraschend unkompliziert. Sie benötige keine Schmerzmittel, wie andere Frauen mit starken Wehen. Gegen 5 Uhr war der Muttermund vollständig geöffnet und die Austreibungsphase konnte beginnen. Da sagte sie: "Können wir mit der Geburt noch etwas warten? Ich möchte, dass die Sonne scheint, wenn mein Kind geboren wird. Bei meiner Geburt hat die Sonne nicht geschienen." Bei guten Herztönen des Kindes erfüllte ich ihr den Wunsch und gab ein kurzfristiges Wehenhemmittel. Bei sommerlichem Sonnenaufgang entband sie schließlich ohne Probleme. Nein, es wurde kein Krokodil sondern ein gesundes Mädchen. Die Babies von morphinabhängigen Frauen haben im Gegensatz zu Alkoholikerinnen keine bleibenden Schäden. Nach einer kurzen Entwöhnungsphase entwickeln sie sich normal. Nach der Entbindung sagte die Frau traurig: "Hoffentlich lässt mir die Behörde das Kind." Das erste Kind war bereits zur Adoption gegeben worden. Für die Chancen des Kindes wohl die bessere Lösung, aber die Kindsmutter mit ihrem verkorksten Leben tat mir aufrichtig leid.

Impressum                         Zuletzt geändert am 05.09.2015 6:51