"Mein Professor"
Im KV-Notdienst erreichte mich der Anruf der städtischen
Polzeizentrale: "Wir sind seit mehreren Stunden mit 4 Beamten in der
Eigenheimsiedlung Galgenberg. Ein Mann hat sich dort mit einem großen Messer
verschanzt und bedroht seine Mutter." Die Beamten würden bei jedem Versuch zu
intervenieren ebenfalls bedroht und müssten sich zurückziehen. Jetzt benötige
man einen Arzt, der eine Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik
veranlasst. Der Plan war, den Mann zu überwältigen und ich sollte dann ein
starkes Beruhigungsmittel spritzen, um ihn abtransportieren zu können. Mit dem
diensthabenden Richter habe man schon gesprochen und das o.k. eingeholt.
Mit dem Auto konnte ich die Eigenheimsiedlung in wenigen Minuten erreichen. Das
Blaulicht der Polizei wies mir den Weg zu dem Wohnhaus des gewalttätigen Mannes.
Zwei Beamte führten mich zur Eingangstür. Links ging es in die Küche, in der
Stühle umgestoßen waren und zahlreiche Gegenstände den Fußboden bedeckten.
Rechts ging eine Wendeltreppe zum Obergeschoss. Auf der Treppe saß im Halbdunkel
ein Mann mittleren Alters mit einem Tranjiermesser. Auf halber Höhe saß eine
jammerde ältere Frau, die wohl seine Mutter war. Während die Beamten schon
taktische Überlegungen anstellten, wie man den Mann mit dicken Decken
überwältigen könnte, ohne die Mutter und die Polizei zu verletzen, versuchte
ich, mit dem Mann ein Gespräch zu beginnen. Plötzlich stand der Mann auf und
ging auf mich zu. Ich wollte schon den Rückzug antreten, da strahlte er
plötzlich und rief: "Mein Professor!".
Jetzt erkannte ich ihn auch. Es war ein Tumorpatient, den wir behandelt hatten.
Die letzte Kontrolle hatte leider ergeben, dass sein Tumor metastasiert hatte.
Augenblicklich entspannte sich die Lage. Der Mann erzählte, dass er eigentlich
sich selbst unbringen wollte und seine Mutter nur bedroht hatte, weil sie ihn
davon abhalten wollte. Nachbarn hatte gesehen, wie er mit dem langen Messer
hantierte und hatten die Polizei gerufen. Durch die anrückenden Beamten habe er
sich bedroht gefühlt und ist nun auch auf sie mit dem Messer losgegangen. Jetzt
konnte er davon überzeugt werden, dass er nervenärztliche Behandlung brauchte
und ließ sich freiwillig in das Krankenhaus Uchtspringe einliefern.
Impressum Zuletzt geändert am 05.09.2015 6:43