Sinne als Schnittstelle
In Marburg hörte ich in den 60er Jahren den Sinnesphysiologen Haensel.
Er präsentierte uns ein Denkmodel, nachdem unsere Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) Schnittstellen zwischen der realen Welt und unserem Gehirn und unserem Bewußtsein sind. Er demonstrierte uns, wie unzuverlässig und leicht zu täuschen unsere Sinne sind. Jeder Zauberkünstler nutzt dieses aus, um "Wunder" zu erzeugen. Viel zuverlässiger sind technische Sinne: Kamera, Mikrophon usw. Über technische "Sinne" können auch Bereiche erschlossen werden, die uns mit unseren natürlichen Sinnen gar nicht zugänglich sind, zum Beispiel die Temperaturen in einem Hochofen. Auch sind technische Messungen von Aufnahmegeräten viel besser zu untersuchen und damit auf den Wahrheitsgehalt ihrer Ergebnisse zu überprüfen. Unsere Sinne dagegen sind bis heute nur teilweise erforscht. Welche Ergebnisse unsere Sinne bei bestimmten realen Vorgängen liefern, ist im Einzelfall gar nicht so genau vorhersehbar.
Gefühlsmäßig trauen wir dennoch mehr unseren eigenen Sinnen als technischen Messungen oder Berechnungen. Besonders interessant ist die Situation des Träumens. Anstelle der realen Sinneswahrnehmungen werden hier Gedächtnisinhalte von Vorgängen abgerufen, die uns im Traum als real erscheinen. Dennoch glauben wir, zu jedem Zeitpunkt exakt beurteilen zu können, ob das Erlebte real oder geträumt ist. Möglicherweise ist alles was wir erleben, Inhalt eines Traumes höherer Ordnung.
In die Sprache der Nachrichtentechnik übersetzt sind Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken usw. Schnittstellen unseres Gehirns mit der realen Welt. Wir können also unsere Erfahrungswelt als das Ergebnis des Inputs unserer Sinne definieren. Wäre es möglich die einzelnen Sinneskanäle, Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken durch künstliche Signale zu ersetzen, so könnten beliebige subjektiv reale Erlebnisse erzeugt werden. Wenn die Simulation der Signale gut genug wäre, so könnten wir nicht feststellen, dass das Erlebte nicht real ist.
So unzuverlässig wie unsere Sinne, ist auch die Einschätzung von realen Gefahren. Zum Beispiel hat nach dem Atomunglück in Fucoshima in Japan eine große Angst in Deutschland bestanden, durch die vermehrte Strahlung an Krebs zu erkranken. Man glaubte, sich durch die Einnahme von Jod schützen zu können. Am Ende gab es in Deutschland etliche Todesfälle durch die übermäßige Jodeinnahme. Die Strahlenbelastung durch Fucoshima war in Deutschland dagegen überhaupt gar nicht messbar. Reale Gefahren, zum Beispiel durch Autofahren mit überhöhter Geschwindigkeit oder riskante Manöver beim Überholen, werden dagegen überhaupt gar nicht wahrgenommen. Auch beim übermäßigen Essen haben wir nicht das Gefühl, dass die davon ausgehende Gefahr viel größer ist, als der Aufenthalt in der Nähe von Fucoshima.