Johannes Rohwer als Matrose auf der S.M.S. Moltke

† 1935

Rendsburg, den 3. 7. 1998

Mein Vetter Hans Peter Rohwer besitzt diesen Brief, den sein Vater Johannes 1912 an meinen Vater Hans schrieb. Da der Brief in Deutsch geschrieben ist, kann die nächste Generation ihn vielleicht nicht mehr lesen. Ich will versuchen den langen Brief in lateinischer Schrift abzuschreiben, damit er getippt und vervielfältigt werden kann.

Nachsatz: mein Onkel Hannes, der drittjüngste der 10 Rohwer Geschwister starb 1935 mit 47 Jahren als erster der Geschwister und wurde von seinen sechs Brüdern zu Grabe getragen.

SMS Moltke, Schlachtkreuzer der kaiserlichen deutschen Marine

Ostsee, den 6. Juli 1912 S.M.S. "Moltke"

Lieber Bruder Hans!

Da ich jetzt recht schöne Zeit habe, will ich dir einiges von unseren letzten Erlebnissen erzählen. Vor allen Dingen erstmal herzlichen Dank, auch deiner Emmi herzlichen Dank für die Gratulation zu der Geburt unseres kleinen. Soweit ich davon weiß, denn seit dem 29. bin schon von Kiel weg, geht es den beiden gut.

Na, also nun erstmal einiges von unserer Amerika-Reise. Am 11. Mai verließen wir um 12:30 Uhr den Kieler Hafen. Nach einer sehr guten Fahrt kamen wir am 17. Mai in Ponto Delgada auf den Azoren an. Dort blieben wir bis zum 23.. Nachdem wir Kohlen aufgefüllt hatten, verließen wir den Hafen, um die Reise fortzusetzen. Bis zum Kap Henry, wo wir am 29. Mai eintrafen, hatten wir auch ganz gutes Wetter. Bevor wir einliefen, traf noch der dort in Amerika stationierte kleine Kreuzer Bremen zu uns mit uns ...große Kreutzer Stettin. Amerikanische Torpedoboote kamen uns entgegen gefahren und eskortiert uns bis zu unserem Ankerplatz. Ein Boot blieb bei uns und stand uns zur Verfügung. Kap Henry hat uns weiter nichts geboten, eine Stadt befindet sich dort nicht. Für mich ist es nur insofern von Bedeutung, als ich dort zum ersten Mal amerikanischen Boden betreten habe. Wir hatten dort auch nur Aufenthalt genommen, um das Schiff instandzusetzen.

Nach anstrengender Arbeit gingen es dann wieder Ankerauf und wir trafen nach dreistündiger Fahrt auf Hamton Road ein. Wieder begleiteten uns Torpedoboot. Hamton Road ist der größte amerikanische Kriegshafen und hat seinen Namen nach der dort liegenden Stadt Hamton. Die ganze amerikanische atlantische Flotte war dort versammelt. Mit Salut und drei kräftigen Hurra wurden wir empfangen.

Um 2:00 Uhr nachmittags kam Präsident Taft mit seiner Yacht Maifleur, von uns mit Salut und Hurra empfangen, gleich nach dem Eingang kam er bei uns an Bord. Er ist von Statur ein wahrer Riese und kolossal dick dabei. Er sprach sehr gut Deutsch und hat sich sehr lobend über unser Schiff ausgesprochen. Nach einem einstündigen Aufenthalt ging er von Bord und verließ auch gleich darauf den Hafen wieder. Am nächsten Tage waren wir eingeladen von der amerikanischen Festung Artillerie nach Fort Monroe. Haben uns dort sehr gut amüsiert. An den beiden nächsten Tagen waren gegenseitige Besuche auf amerikanischen Schiffen und bei uns. Bei dieser Gelegenheit schwamm natürlich alles in Bier, dort so wie bei uns. Wir ist überhaupt bei uns auf der Amerika-Reise fürchterlich viel Bier verkonsumiert worden. Außer dem Fassbier wurden bei uns an Bord 350.000 Flaschen (ca. 3/4 l Bier) aus getrunken (a Flasche 35 Pfg.). Das amerikanische Bier ist lange nicht so gut wie unseres, ist dafür aber recht viel teurer. Auch war ich noch zweimal an Land dort. Einmal mit der Bahn nach Old Paise und das andere Mal nach New Port News. Überall wurden wir freundlich aufgenommen.

Am Sonnabend, dem 8. Juni um 4:00 Uhr nachmittags, verließen wir, geführt von vier amerikanischen Schiffen, Hamton Road. Am Sonntag morgen um 9:00 Uhr bekamen wir die ersten Wolkenkratzer und Türme von New York in Sicht. Wenn wir schon in Hamton die amerikanische Gastfreundschaft kennen gelernt hatten, so sollten wir in New York doch etwas erleben, wovon sich kein Mensch etwas hätte träumen lassen. Schon weit in See kamen uns Dampfer, vollgepfropft von Menschen beiderlei Geschlechts, entgegen und begrüßten uns durch ein nicht enden wollendes Hurra. Immer mehr Dampfer kamen, zuletzt auch kleine Boote in ungeheueren Mengen. Es war ein ständiges Hurra rufen. Unsere Musik spielte in einem fort die amerikanische Nationalhymne.

Nun etwas über die Einfahrt. Rechts sieht man zuerst Long Island, daran anschließend Brooklyn. Links ist Staten Island, auf der wir die ungeheuer große Petroleumfabrik von Rockefeller sehen konnten. Vor uns sahen wir das eigentliche New York mit den unendlich hohen und berühmten Wolkenkratzern. An der Einfahrt zum Hudson River befindet sich die kolossale Freiheitsstatue. Ein großartiges Bauwerk eie es nur Amerika schaffen kann. Jetzt waren wir schon dichter unter Land gekommen und sahen jetzt die ungeheueren Menschenmengen an Land stehen. Alles schwarz von Menschen, wo nur ein Plätzchen war, standen Leute zu winken. Ein Hurra begleitete uns die ganze Zeit bis zum Ankern. An Backbord passierten wir die Anlegepiere der Hamburg - Amerika - Linie und des Bremer Lloyd. Auf allen dort liegenden Dampfer an spielte die Musik. Überall sah man die deutsche Flagge wehen. Um Punkt 11:00 Uhr ankerten wir an der 96. Straße, rundherum von Booten und Dampfer umgeben, mit Leuten wie an Bord wollten.

Zuerst kamen dann die Vertreter der Stadt und hießen uns willkommen. Auch Vertreter von Krieger-, Flotten- und Bürgervereinen kamen und brachten Einladungen über Einladungen. Mittlerweile war es aber dem wachhabenden Offizier unmöglich gewesen, die Fallreps freizuhalten. Die guten Leute hatten keine Geduld mehr, sie wollten die "Moltke", das Wunderschiff, wie es die Zeitungen nannten, selbst betreten. Im erstaunlich kurzer Zeit waren Tausende Menschen an Bord, so dass wir zum Mittagessen nicht mal Platz bekommen konnten. Rein närrisch waren die lieben Leute. Alle wollten was ab haben zu essen, alle wollten irgend ein Andenken in Form von Knöpfen, Münzenbänder usw. haben.

Nun wollten wir nachher denn auch gerne an Land, aber da war guter Rat teuer. Nirgends im Schiff war ein Plätzchen zu finden, wo man sich umziehen konnte. Wir konnten doch nicht vor den Augen der vielen hübschen Ladys die Hosen oder das Hemd ausziehen? Ich bin zuletzt mit meinem Zeug ins Klosett geflüchtet und habe mich dort landfein gemacht. Na, nun kam aber erst das schwierigste, nämlich das Vonbordkommen. Nach dem Fallrep war tatsächlich nicht hinzu kommen, so ein Gedränge war über all. Endlich, nach langem Drängeln und Stoßen gelang es mir und Einigen mehr auf einen eben leer gewordenen Dampfer zu flüchten. Ach, wie atmeten wir auf, endlich aus dem Trubel heraus zu sein.

Von Bord hatten wir einen Stadtplan und Billiets für freie Fahrt auf der Straßen-, Hoch- und Untergrundbahn erhalten. Ich wollte Casimir Vetter Fritz Ohem dort besuchen. Vielleicht hast du ihn ja im vorherigen Jahr in Hohn gesehen, er war nämlich dort zu Besuch. Aber - ach du Schreck - als wir an Land kamen, erwartete uns ein noch größerer Trubel. Tausende von Menschen standen dort zusammengedrängt und wollten alle an Bord. Nun begann für uns ein wahres Spießrutenlaufen. Von allen Seiten wurden wir festgehalten und mit unendlich vielen Fragen gestürmt. Die Leute waren rein verrückt. Alle wollten sie einen mithaben, man konnte sich gar nicht bergen. Ich hatte ja die schöne Entschuldigung, Verwandte zu besuchen. Selbst damit wollten sie sich nicht abschütteln lassen. Alle boten sich an, mich hin zu bringen und im Fall, dass meine Verwandten nicht zuhause sein, sollte ich mitkommen. Es half nichts, ich musste zuletzt die Begleitung von vier Herren und einer Lady annehmen. Dies war denn man gut so, denn alleine wäre ich doch nicht hin gefunden.

Nach einer zweistündigen Fahrt mit der Straßen und Untergrundbahn kamen wir dann auch glücklich bei Fritz an. Dort wurde ich denn auch sehr freundlich aufgenommen. Fritz ist das Ebenbild von Fritz in Hohn, nur ist er noch ziemlich was dicker und trägt einen Spitzbart. Im übrigen ist er ebenso ein Gemütsmensch und Spaßvogel wie sein Vetter in Hohn. Auch seine Frau war sehr liebenswürdig und nett. Nachdem wir denn dort ein paar sehr gemütliche und vergnügte Stunden verlebt hatten, gingen Fritz und ich in die Stadt. Was wir dort gesehen und erlebtem, kann ich hier nicht alles zu Papier bringen, es würde zu weit führen. Als ich abends um 2:00 Uhr an Bord kam, war ich voll auf mit dem verlebten Tag zufrieden.

Am nächsten Tag konnte ich die erfolgten Einladungen vom Bürgerverein leider nicht mitmachen, da ich Wache hatte. Auch dort sind die Leute herzlich aufgenommen und bewirtet worden. Das Schiff war den ganzen Tag wieder voll von Besuchern. Ich war froh, als der Trubel abends zu Ende war.

Am 11. Juni, am dritten Tage, waren wir eingeladen vom deutschen Krieger- und Flottenverein nach Cony Island. Was dies bedeutet, kann nur der erfassen, der Cony Island besucht hat. Die Einladung kam am Abend vorher durch Luftschiff an Bord. Es floh ganz dicht über unser Deck und warf die Einladung in einem beschwerten Brief herunter. Na, nun etwas allgemeines über Cony Island. Es ist eine Stadt, auf einer Insel vor New York gelegen, die nur zum amüsieren da ist. Alles was dort drin ist, war zum vergnügt und fröhlich sein. Du kannst einen Begriff machen, wie besucht und belegt es dort ist, wenn dort täglich (auch wochentags) 200-300.000 Besucher kommen. In der größten Weltausstellung war die Höhe der Besucherzahl her 144.000 Menschen an einem Tage. Allein in dem Lunapark der dort ist, sind schon 15.000 Besucher an einem Tage gewesen. Was dort alles zu sehen, zu erleben und mitzumachen war, kann der, der nicht dort war, sich absolut gar keinen Begriff machen.

Wir wurden mit zwei großen Dampfer dort hingebracht und kamen um 3:00 Uhr nachmittags dort an. Zwei Musikkapellen holten uns von der Anlegestelle ab, und mit Musik zogen wir durch die dortigen Straßen, begleitet und begrüßt von einer riesigen uns zujubelnden Menge. Über all an den Restaurants, Cafés und Hotels fielen die dortigen Musikkapellen mit "Die Wacht am Rhein" oder "Heil dir im Siegerkranz" ein. Es war ein großartiger, erhebender Augenblick, der Einmarsch in Cony Island. Vor dem Kaisergarten wurde halt gemacht und wir wurden bis 6:00 Uhr entlassen. Na, nun wusste man wirklich nicht, wo man zuerst und zuletzt weitergehen sollte. Zu allen Etablissements hatten wir freien Zutritt. Alles was sich der Mensch nur denken kann, gab's dort. Ein Jahrmarktstrubel aber im höchsten Maßstab, als ihn nur Amerika fertig bringt.

Das größte und schönste Unternehmen war der Lunapark. Allein schon der Eingang war ja so etwas Großartiges, wie ich ähnliches noch nie gesehen habe. 27 Ladys saßen nebeneinander in künstlerisch hergestellten Sträußen und kassierten. Wir hatten aber ja, wie schon erwähnt, freien Eintritt. Sonst kostete der Eintritt anderthalb Dollar gleich 6,60 Reichsmark. Damit aber noch nicht genug, jeder Eintritt in den verschiedenen Abteilungen, mehr wie 20 Stück, kosteten wieder einen halben bis einen Dollar. Wir wären wie arme Schlucker mit unseren paar Kröten hingekommen, wenn wir alles hätten bezahlen sollen. Auch sogar in Restaurants und Cafés konnten wir für Bons, die wir von den Vereinen erhalten, hatten Essen und Trinken was wir wollten. Überall wurden wir herzlich und zuvorkommend aufgenommen. Um 6:00 Uhr versammelten wir uns wieder im Kaisergarten zum Essen. Ein ganz vergnügliches Dinner wurde uns gegeben. Tausende Menschen umstanden uns und sahen zu, wie wir spachtelten. Reden über Reden wurden gehalten, und für eine fröhliche Stimmung sorgten schon die 50 angestellten Kellner durch Bier und Wein. Gegen 8:00 Uhr wurde die Tafel aufgehoben und das Amüsieren kam wieder zu seinem Recht. War es schon nachmittags, über all schön gewesen, so war es nun, da es mittlerweile dunkel geworden war bei der herrlichen Illumination geradezu ein himmlischer Anblick. Wenn ich mal jemand, der oder die ich gern habe, mal etwas recht gutes wünschen werde, so wünsche ich ihm diesen erhabenen Anblick, den wir dort genossen haben. Na, was es dort und alles zu sehen gab, darauf kann ich hier nicht weiter eingehen. Das werde ich dir mal mündlich ausführlich erzählen. Schweren Herzens mussten wir wieder Abschied nehmen von diesem schönen Fleck Erde, denn um 11:30 Uhr sollte unser Dampfer wieder fahren. Trotzdem wir bis um 12:00 Uhr warten, fehlten immer noch gut 30 Mann, die am anderen Morgen erst an Bord kamen. Na wenn ich nicht Frau und Kinder, Kind wollte ich sagen, gehabt hätte, ich hätte nichts besseres gemacht, ich wäre auch dortgeblieben.

Aber es nützt ja nichts, wir mussten ja wieder an Bord, denn am nächsten Tage erwartete uns wieder schwere Arbeit. Es galt 3800 t Kohlen zu übernehmen. Aber auch die Arbeit haben wir glücklich überstanden. Nun kam der Tag an dem unseren schönen wenn auch wenigen Amerika Tage ein Ende nahm. Ja, sie waren zu kurz, viel zu kurz gerne, sehr gerne wären wir dort noch 14 Tage länger geblieben. Aber es half nichts, der Kaiser hatte befohlen und jeder Befehl ist heilig. Fünf Mann hat es dort so gut gefallen, dass sie das Schiff nicht wieder finden konnten und dortgeblieben sind. Nachmittags um 4:00 Uhr gingen wir Anker auf und unter großem Jubel der dortigen Bevölkerung den Hudson River Strom abwärts nun die Heimreise anzutreten. Die 4 amerikanischen Kriegsschiffe und Torpedoboote begleiteten uns ein Stück in See hinaus. Die schönen Tage hatten ihr Ende erreicht. Ja manchem, wohl jedem, werden sie wohl in steter Erinnerung bleiben. Die "Bremen" und "Stettin" verließen uns auch und wir dampften der Heimat zu. Wenn wir auf dem Hinweg verhältnismäßig sehr gutes Wetter gehabt hatten, so hatten wir auf der Rückreise desto mehr mit schwerem Wetter zu kämpfen.

Am 7. August 2012
Endlich komme ich mal wieder dazu ,dieses Geschreibsel fortzusetzen. Ob ich ihn überhaupt noch fertig bekomme, ich weiß es wirklich nicht. Mit der Amerika-Reise war ich glaube so weit fertig. Erwähnt sei noch, dass sie am 15 Juni, nachmittags um 2:00 Uhr Unglücksstelle der Titanic passierten. Eisberge haben wir nicht gesehen, gemeldet wurde uns von anderen Schiffen öfters welche, von Norden wie auch von Süden her. Es war auch sehr kalt dort in der Eiszone. Bis England fuhren wir mit 15 Meilen, von da an mit 22 Meilen.

Nach einer elftägigen Fahrt kamen wir am 24. vor Kiel an. Hier sollte uns nun noch ein ganz besonders ehrenvoller Empfang zuteil werden durch den Kaiser selbst. Wie wir einlaufen wollten in den Kieler Hafen, kamen die Segelyachten (es war ja gerade Kieler Woche) von Eckernförde zurück. Wir beabsichtigten nun, einzulaufen und den Kaiser an der Boje liegend zu begrüßen. Bevor wir aber dazu kamen, schickte er von seiner Meteor aus Depeschenboot Sleipner mit dem Befehl: "Moltke warten, bis Majestät passiert ist." Wir blieben also vor Friedrichsort liegen, klar zum Aplaudieren und Salutieren. Er kam mit seiner Yacht ganz nahe an uns herangesegelt, und wurde mit drei kräftigen Hurra empfangen, die von ihm persönlich unter schwenken seiner Mütze beantwortet wurden. "GutenTag, Moltkematrosen." " Was macht der Magen? Ist er noch in Ordnung?" und "Wieviele haben sich denn in Amerika verlobt?" rief er uns im Vorbeifahren zu. Er schien überhaupt sehr guter Laune zu sein, denn er lachte über das ganze Gesicht. Nachdem wir denn eben an der Boje festgemacht hatten, kam er noch bei uns an Bord. Er war sehr freundlich und stellte beim Abgehen der Front überall Fragen betreffs des Aufenthaltes in Amerika an die Leute. Vor versammelter Mannschaft sprach er uns in einer Ansprache seinen Dank und seine Anerkennung für unser gutes Verhalten in Amerika aus. Als Lohn dafür ernannte er uns denn gleich zum Begleitschiff und auf seiner Reise nach Russland. Wie hoch wir bei ihm angeschrieben sind, hat sich im Laufe dieser Reise gezeigt, denn er war danach noch dreimal bei uns an Bord.

Da ich nun seit Amerika keine Nachricht mehr von meiner Cite hatte, war ich, wie du dir wohl denken kannst, sehr besorgt und unruhig, da mittlerweile auch die Zeit gekommen war, dass der Klappstorch sie überraschen konnte. Groß war aber meine Freude, als ich zuhause ankam und meine Cite wohlbehalten mit einem kleinen Erdenbürger im Arm im Bett vorfand. Am 19. war der kleines Schlingel so frei gewesen, sich als ihren Sohn bei ihr vorzustellen. Na, ich stelle mich denn in aller Form als sein Vater vor. Ich weiß nicht, ob ers nicht glauben wollte, oder ob er es nicht verstehen konnte, denn ich sprach, da ich aus Amerika kam, noch halb englisch, er fing nämlich aus Leibeskräften an zu schreien.

Lange währten aber die glücklichen Tage im Kreise meiner Lieben nicht, denn am 29. hieß es wieder "die Anker lichten, auf nach Russland. " Zuletzt fuhren wir nach Neufahrwasser bei Danzig, wo der Kaiser zur Besichtigung des Husarenregiments eines Sohnes weilte. Am selben Abend um 6:00 Uhr kam er ganz unverhofft während des Abendbrot zu uns an Bord. Natürlich war die Aufregung groß, alle Mann waren im schlechtem Arbeitszeug und das Schiff war auch wahrhaftig nicht im Empfangszustand. Trotzdem verweilte er anderthalb Stunden an Bord und freute sich über seine dreckigen blauen Jungs.

Am nächsten Tage ging die Reise los nach Baltisch Port. Sehr viel Gutes haben wir dort allerdings nicht gehabt, an Land kamen wir nicht. Es gab viel Arbeit, das Schiff musste ihr in einem f.f. Zustand gebracht werden, da der Zar das Schiff besichtigen wollte. Vorher war der Kaiser nochmal an Bord, um sich von dem guten Zustand des Schiffes in eigener Person zu überzeugen. Die Besichtigung verlief aber sehr gut. Nun kam der Zar; er hat ja sehr viel Ähnlichkeit mit Prinz Heinrich, ist aber bedeutend kleiner, ist sehr mager sieht ziemlich verwahrlost aus. Er sprach sich natürlich sehr lobend über das amerikanische Wunderschiff aus und verlieh als Anerkennung eine Anzahl Auszeichnungen.

Da ich, wenn auch man recht klein und unscheinbar, doch ein ganz famoses Kerlchen bin, wie meine Cite mal behauptet hat, bekam ich natürlich auch einen Orden ab. Und zwar erhielt ich die silberne Medaille zum Stanislausorden am Bande des St. Nikolaus - Ordens. Nun hat also deine Emmi einen Schwager der Ordensritter ist, ist sie darauf nicht stolz? Fragen Sie doch mal. Ich bilde mir nämlich furchtbar viel darauf ein. Ich trage ihn auf dem Hemd, erstmal, damit er nicht schmutzig wird und verbleicht und zweitens, damit ich ihn abends nicht immer erst umzustecken brauche. Ich trage ihn nämlich auch nachts, musst du wissen. Ich glaube Mutter ist auch schrecklich stolz darauf, dass sie einen dekorierten Sohn zwischen all ihren Schlingel hat.

Am 8. Juli kamen wir wieder in Kiel an und blieben dort bis zum 17.. Während dieser Zeit hatten wir recht viel Besuch, natürlich galten sie weniger mir sondern vielmehr meiner Frau und dem Jungen. Auch haben wir ihn während dieser Zeit taufen lassen und zwar heißt er Otto-Heinrich. Zuerst sollte er nämlich Hans heißen. Ich habe mich aber rechtzeitig besonnen und an seine Zukunft gedacht. Ich dachte nämlich, dass er an seinem Onkel Otto späterhin noch mal einen reichen Patenonkel kriegen kann. Denn zum Heiraten kommt dieser eingefleischte Junggeselle ja doch wohl nicht. Oder sollte ich mich verrechnet haben, was meinst du? Das kann ich dir aber sagen, so recht was ist es gar nicht mit so einem Baby, unsereiner tritt jetzt viel mehr in den Hintergrund. Er spielt immer die Hauptrolle, man könnte schier eifersüchtig auf ihn werden. Er ist aber auch wirklich ein ganz famoses Kerlchen. Mutter und Tide haben behauptet, nie einen so schmucken Jungen gesehen zu haben. Na, das will doch was sagen, denn Mutter hat doch wahrhaftig genug gesehen. Jetzt, denn seit dem 17. befinden wir uns wieder in See auf der Sommerreise, befindet Cide sich mit dem Jungen zur Erholung in Nübbel im Gras. Na, da verhätscheln sie ihn aber erst bei Cides Eltern. Ich komme nämlich heute Mittag von dort her und habe mal nach dem Rechten gesehen.

Wir liegen nämlich seit Sonnabend hier vor Travemünde und fahren heute Abend nach Heiligendamm, wo die Kronprinzessin weilt. Sie war in Saßnitz, wo wir vorige Woche waren, schon mal an Bord mit uns. Dort in Heiligendamm will der Großherzog von Mecklenburg sich das Schiff ansehen. Wie schrecklich war doch vorige Woche der Brückeneinsturz in Burg. Wir lagen ja auch dicht dabei und haben noch mit Scheinwerfern die Unglücksstelle beleuchtet. Am anderen Morgen war ich dort mal hin und habe mir den Schaden mal angesehen. Die Leute waren sehr verbittert über die nachlässige Badeverwaltung.

In Nübbel geht es allen sehr gut, haben alle wenig Zeit, da sie mitten in der Roggenernte sind. Meine beiden Lieben haben sich schon gehörig erholt. Schwester Tide ist auch von Wyk auf Föhr zurück und hat sich gut erholt. So nun wird es wohl genügen, ich habe keine Lust mehr. Tut mir aber den Gefallen und lass Emmi und deren Eltern dieses Geschreibsel nicht lesen, denn die würden einen schönen Begriff von deinem Bruder bekommen. Du kannst ja davon erzählen.
Sei gegrüßt von deinem
Bruder Johannes

Wilhelmshaven den 1. September 2012
Anscheinend ist es wohl nicht genug gewesen, denn der Brief kam von Charlottenburg wieder zurück. Nun hörte ich denn, dass sein das du deine Wohnung gewechselt hast. Da muss ich wohl oder übel noch mal wieder anfangen. Seit dem 24. August sind wir hier in Wilhelmshaven und zwar für fest stationiert. Bisher hoffte ich noch zum Herbst von Bord, wieder an Land zu kommen, aber damit ist es Essig geworden. Nun bin ich denn hier nach diesem Dreckloch verbannt und meine Frau ist in Kiel. Ein feines Familienleben was? Umziehen werde ich auf keinen Fall, denn länger wie ein Jahr werde ich, so alles gut geht, doch nicht bei der kaiserlichen Marine bleiben. Nur muss ich noch Zeit haben, mich auf irgendwas vorzubereiten. Hoffentlich komme ich zum April von Bord, denn an Bord ein Arbeiten ganz ausgeschlossen. Morgen beginnen die großen Herbst - Flottenmanöver in der Nordsee. Am 23. kehren wir wieder nach hier zurück. Wie Cide schrieb, ist dort auch eine Gratulation zu meinem Geburtstag angekommen von dir. Herzlichen Dank dafür. Sie wird sie mir noch nachschicken.

So lieber Bruder, jetzt will ich aber endgültig Schluss machen, damit du dieses Geschmiere noch in diesem Jahr erhälst. Grüße bitte deine Emmi recht schön von mir. Leider wird es mir wieder mal nicht vergönnt sein, sie diesen Herbst in Nübbel kennen zu lernen. Und ich war doch so gespannt darauf. Nachdem, was ich in Nübbel gehört habe, insbesondere von Tante Johanna muss sie ein Prachtmädel sein. Wann gedenkt Ihr euch denn zu verheiraten? Es gefällt euch anscheinend so ganz gut. Schreibe doch recht bald mal wieder und lass dir die Zeit nicht lang werden bei dem Lesen des Schmierkrams.

Sei du und deine Emmi herzlich gegrüßt von deinem Bruder

Johannes

S.M.S. Moltke Wilhelmshaven

 

Nachwort von Jens Bahnsen:

Warum ist es so wichtig, dass solche Dokumente der Nachwelt erhalten werden? Zwei Jahre vor Ausbruch des 1. Weltkriegs fährt ein deutsches Kriegsschiff in die USA und wird dort überall mit Jubel empfangen. Der US-Präsident kommt an Bord und spricht sogar deutsch. Zwei Jahre später schliddert Deutschland in einen Vernichtungskrieg, der fast mit der Auslöschung der deutschen Nation geendet hätte. Wie ist so etwas nur möglich - und wie kann man so etwas künftig verhindern? Jetzt wird wieder kräftig aufgerüstet, angeblich, um einem Angriff Russlands stand halten zu können. Haben wir nichts gelernt? Nach jeder Aufrüstungsphase folgte ein Krieg.

verantwortlich: Jens Bahnsen
Korrektur:


Impressum                         Zuletzt geändert am 23.08.2014 22:46