Ein Lion im ICE
Geschichten, die das Leben schreibt.
„Nicht zusehen – Handeln!“ So lautet das Motto unserer damaligen
Frau Governor im Distrikt OM. Daran musste ich intensiv denken, als ich
folgende Szene erlebte:
Ich sitze im ICC Richtung Hannover. Drei anstrengende Tage
des VG-Seminars in Wiesbaden liegen hinter mir. Eberhard Wirfs
und seine Mitstreiter haben uns Vice - Governorn einen perfekten Crashkurs präsentiert, damit wir
uns als künftige Governor nicht allzu sehr blamieren. Hinter mir sitzt eine
fröhlich lärmende Reisegruppe aus dem Rheinland. Die Flasche geht herum, es
wird gelacht und ab und zu spontan ein Lied angestimmt.
In dem
überfüllten Wagon bemerke ich neben mir einen schmächtigen, alten Mann, der
sehr wackelig auf seinen Beinen steht. Ich will ihm schon meinen Platz
anbieten, da sagt er, dass er ja eine Platzkarte habe, der Platz sei aber
besetzt. Er hält mir seine Platzkarte hin und ich bestätige ihm, dass er im
richtigen Wagon sei. Auf seinem Platz sitzt eine junge Frau aus der Reisegruppe
und die weigert sich, für ihn Platz zu machen.
Ich besinne mich auf unser Distrikt – Motto, gehe mit dem kleinen, alten Mann zu
der jungen Frau und bitte sie, mir ihre Platzkarte zu zeigen. Es könnte sich ja
auch um eine Fehlbuchung der Bundesbahn handeln. Die Frau erwidert, sie habe
keine Platzkarte, man sei eine Reisegruppe und hätte hier zusammenhängende
Plätze reserviert. „Das kann ja sein.“ sage ich, „ aber dieser Platz gehört
eindeutig diesem Mann hier.“ Nun werden andere Stimmen laut: „Sie sind doch
kein Bahnbeamter. Was geht Sie das an? Was glauben Sie
eigentlich, wer Sie sind?“ Etwas trotzig antworte ich: „Ich bin einer von
denen, die sich einmischen! Ich finde es unglaublich, dass eine gesunde junge
Frau einem alten Mann seinen reservierten Platz wegnimmt“
Der Appell an das
Gewissen wirkt. Zwar immer noch schimpfend macht sie Platz und findet auch
sofort einen anderen Sitz nahe ihrer Gruppe. Mit einem wohligen Gefühl der
Zufriedenheit gehe ich auf meinen Platz und mache ein Nickerchen.
Nach einer
knappen Stunde werde ich vom Fahrkartenkontrolleur aufgeschreckt. Der
Bahnbeamte geht weiter und ich höre hinter mir, wie er bei dem alten Herrn
verharrt. „Guter Mann, Sie sitzen im falschen Zug!“ Wie ein Blitz durchzuckte
es mich. Ich hatte zwar die Platzkarte gelesen, aber die Fahrkarte mit der
Zugverbindung hatte ich nicht gesehen. Schon gingen hinter mir die Emotionen
hoch: „Höhö – da hat wohl einer schwer daneben
gelegen!“ scholl es in meine Richtung. Ich hätte vor Scham in den Boden
versinken möchten.
Na ja, es war ein Versuch. Ich muss nur noch viel besser
werden.
Autor: Jens Bahnsen
Impressum..................................................Zuletzt geändert am
15.09.2010 20:46