Unser Garten in Legan
Ein Text von meiner Schwester Frauke zu meinem 70. Geburtstag
Wenn es stickig ist im Sommer in der Stadt, fällt er mir ein: der Garten unserer
Eltern im Sommer. Ich öffne die Spieluhr unserer Kindheit. Hört ihr die
Melodien der Singdrosseln und Meisen, das Quaken der Frösche aus den
Fischteichen? Von ferne, von einem Acker, weht das Motorentuckern eines
Treckers herüber. Der kühle Wind ist immer da und lässt die Blätter der Eichen
rauschen. Die fünf Eichen stehen an einer Seite des Grundstücks, weise
Wächter, schlicht und schweigsam und beständig.
Wenn Johannisbeeren und Kirschen reif wurden, mischte sich unter die
vertrauten Geräusche ein metallenes Knattern der Aluminiumstreifen, die
unsere Mutter an Büschen und Bäumen aufhängte. Das stechende Blinken in
der Sonne zusammen mit den ruckartigen Bewegungen im Wind sollten die
Drosseln und Elstern verscheuchen, die sich über die süßen Früchte des
Gartens hermachten. Unser Vater schoss aus dem Dachfenster mit seinem
Kleinkaliber nach den Drosseln. Die erlegten Vögel nagelte er auf Besenstiele,
die er in die Erdbeerbeete steckte. Das sollte die anderen Vögel abschrecken.
Ich machte einen großen Bogen um die toten Vögel und hielt mir die Nase zu.
Die Spargel- und Erdbeerbeete waren die Adligen des Gartens. Sie durften viel
Platz in langen Reihen einnehmen und bekamen die meisten Begeisterungsrufe
unseres Vaters. Mit einem großen Hüpfer konnte ich ein Spargelbeet
überspringen. Ein kleiner Hoppser reichte aus, um über ein Erdbeerbeet zu
kommen.
Die allererste Erdbeere im Jahr: was für ein Ereignis: diese rotglänzende
Frucht, von der Sonne angewärmt, das saftige, süße leicht gefaserte Fleisch,
die leise knackenden Samenkörnchen.
Auf der Wäscheleine über dem Rasenstück hinter unserm backsteinroten Haus
flatterte, knatterte und blähte oft nasse Wäsche im Wind. Weiße und gelbe
Handtücher tanzten übermütig mit karierten Tischdecken, daneben
schwerfällige Bettbezüge und dickbäuchige Arztkittel.
Im satt wuchernden grünen Rasen blühten Löwenzahn mit leuchtend gelben
„Hundeblumen" und Scharen neugieriger Gänseblümchen. Wie schön war es, barfuß über das taufeuchte Gras zu laufen, um dann gegen
Mittag den angewärmten pudrigen Sand auf dem Gartenweg an den
Fußsohlen zu spüren.
An besonders heißen Tagen lockte die Wasserzapfstelle an der Gartenpforte.
Dort stand ein schwarzer Plastiktrog, in dem wir auf einer glitschigen
Algenschicht hin- und her waten konnten. Hemd, Bluse und Hose wurden
nass. Der Geruch des eisenhaltigen Grundwassers im Trog blieb noch, bis wir
abends in unseren Betten lagen.
Zu diesen Sommern unserer Kindheit gehörten die Blumen unserer Mutter.
Sie waren ihre stummen Vertrauten. Der hellblaue Rittersporn, aufrecht und
selbstbewusst, die lila und rosa Blütenkerzen der Lupinen, die sanft kreisenden
Margeriten mit ihren weißen Strahlenkränzen um die gelbe pelzige Mitte, der
tiefrote Klatschmohn, der seine Blütenblätter wie japanische Servietten aus der
dicken behaarten Kapsel entfaltete. Im Herbst schien unsere Mutter die
Astern wegen ihrer zahllosen treuen Blütensterne in violett und weiß
besonders zu lieben, sie holte sie zu sich in die Wohnstube in die schönsten
ihrer Vasen.
Ich liebte die hohen Sonnenblumen. Sie waren die Löwen der Blumen und
richteten ihre Gesichter zur Sonne.
So war es.
Die Gartenpforte fällt mit einem Quietschen zu.
Die Amseln suchen sich ihren Schlafplatz in den alten Eichen. Die Frösche
haben genug gequakt.
Ich schließe den Deckel der Spieluhr und bin zurück in der schwülen Hitze der
Stadt.
Anmerkung: In Legan steht das Elternhaus, in dem meine Schwester Frauke und ich aufgewachsen sind. Frauke hat den Text auf der Familienfeier am 13.4.19 in Celle vorgetragen.
Teil von Meinungen und Geschichten, Beiträge von Jens Bahnsen
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Zuletzt geändert am
11.04.2022 20:07