Heiraten ist heute viel schwerer als früher
Liebes Brautpaar, liebe Verwandte und Gäste, bevor ich zu meiner Rede komme, möchte ich klarstellen, dass niemand im Raum hier persönlich gemeint ist. Ich habe diese Rede schon einmal bei einer Hochzeit gehalten, ohne dass sie verstanden wurde. Sei es, dass ich mich nicht richtig ausgedrückt habe oder die Stimmung durch Alkoholgenuss schon zu weit fortgeschritten war. So versuche ich es jetzt noch einmal.
(Anmerkung: Nachdem ich die Stimmungslage auf der Hochzeit kritisch erfasst hatte, verzichtete ich auf den Vortrag. Der Inhalt wäre wieder nicht verstanden worden.)
Der Kern meiner Überlegungen ist, dass es für ein Paar heute ungleich schwerer ist, eine Ehe einzugehen als zum Beispiel zur Zeit unserer Großeltern.
Seit Jahrhunderten gab es eigentlich immer nur eine Frage zu klären: ja oder nein! Alles andere ergab sich aus den vorgezeichneten Rollen. Die Ehefrau war für Haus und Kinder zuständig, der Mann für das Geld und die Verteidigung des Eigentums nach außen. So einfach war das früher, ja oder nein, mit der Frage war alles geklärt.
Heute ist das Leben viel komplizierter! Eine Frau lässt sich nicht mehr auf eine einfache Rolle reduzieren. Auch die Männer haben verstanden, dass das Leben wesentlich komplexer ist, als dass es sich auf eine einfache Ja - Nein - Frage reduzieren ließe.
Es fängt schon mit der gemeinsamen Wohnung an. Bei unserm Brautpaar hat es durch den „Gewinn in der Berliner Wohnungslotterie“ geklappt. Manche Paare können aus verschiedenen Gründen jedoch nicht zusammenwohnen. Das muss geklärt werden. Es schließt eine Ehe nicht aus, aber es muss vereinbart werden.
Es geht weiter mit dem Geld. Früher war ganz eindeutig der Mann für die Beschaffung des Geldes allein verantwortlich. Heute haben Frauen öfter einträgliche Stellungen und bringen mehr Geld nach Haus als der Mann. Auch darüber muss man sich einigen. Wer trägt welche Ausgaben? Gemeinsames Konto oder getrennte Konten? Gütergemeinschaft oder Gütertrennung?
Wenn der Mann oder die Frau eine Position bekleidet, die keinen Ortswechsel erlaubt, so muss in der Regel der zweite Partner folgen. Das ist ein erhebliches Opfer unabhängig davon, ob es den Mann oder die Frau trifft. Auch hier sind intensive Gespräche und Vereinbarungen erforderlich, bevor man sich das Ja-Wort gibt.
Und dann die Kinderfrage. Früher gab es die Frage nicht, denn, wenn man nicht enthaltsam lebte, so kamen die Kinder automatisch, wenn Mann und Frau fruchtbar waren. Das brauchte man nicht vereinbaren. Es führte natürlich auch dazu, dass viele Paare Kinder bekamen, die Kinder gesprochen hassten, und sie später entsprechend behandelten. Heute haben wir zum ganz überwiegenden Teil Wunschkinder. Auch dazu sind intensive Gespräche und Einigungen erforderlich, bevor man sich das Ja-Wort gibt.
Mit dem „Ja“ zum Kind ist es aber noch nicht getan. Denn, wenn das Kind da ist, benötigt es viel Zuwendung, wenn es gedeihen soll. Früher war das eindeutig Sache der Frau. Heute muss dieses zu zweit vereinbart werden. Zwar ist die Frau im ersten Lebensjahr aufgrund der Fähigkeit zu stillen im Vorteil, bis zur Volljährigkeit des Kindes gleicht sich der Aufwand für den Nachwuchs bei den Geschlechtern häufig aus.
Ich könnte noch viele weitere Punkte anführen, aber ich hoffe es ist klar geworden, worum es mir geht. Junge Paare haben es heute viel schwerer als früher bis zum Ja-Wort zu kommen, weil sie jeden Teil ihres künftigen Lebens besprechen und vereinbaren müssen. Die Entscheidung zur Ehe ist keine reine duale Ja - Nein - Entscheidung mehr, sondern ein sehr komplexer Einigungsprozess, vergleichbar mit den Friedensverhandlungen zweier Staaten.
Teil von Meinungen und Geschichten, Beiträge von Jens Bahnsen
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Zuletzt geändert am
20.07.2019 7:00