Drohen Hungerkatastrophen?

Manchmal habe ich in der Nacht Alpträume. Ich werde von der Vorstellung gequält, dass dieser kleine blaue Planet von Hungerkatastrophen heimgesucht wird, die alles übersteigen, was wir uns derzeit vorstellen können. Dabei sind die Voraussetzungen für die Menschheit derzeit günstig. Noch nie waren die Kenntnisse für die Erzeugung von Lebensmitteln, die technischen Hilfsmittel, Düngemittel und die Bekämpfung von Schädlingen so weit entwickelt und weltweit verbreitet. Wir haben gegenwärtig keine globalen Kriege und keine nennenswerten Einschränkungen des Welthandels. Warum also diese Alpträume? Was hat sich geändert? Was bedroht uns so?

Es hat sich in den letzten Jahren tatsächlich etwas Grundsätzliches geändert. In früheren Zeiten waren die Erzeugung von Nahrungsmitteln und der Preis von Nahrungsmitteln unabhängig von der Erzeugung und den Preisen von Energieträgern wie Öl, Kohle oder Gas. Nun ist zunächst der Preis für Erdöl unglaublich stark angestiegen. Die anderen Energieträger haben nachgezogen. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung bis 2006. Inzwischen hat der Ölpreis die 100 USD – Marke hinter sich gelassen.

Die Preise für Weizen, Mais, Reis  und andere Nahrungsmittel sind dagegen zunächst für fast 50 Jahre auf niedrigem Niveau geblieben.

Vor circa zwei Jahren trat die Situation ein, dass der Energiepreis von Weizen höher war als der Verkaufspreis. So berichtete mir damals ein befreundeter Landwirt und Lionsfreunf (Bernd Hartstock), dass er für 1 kg Weizen 0,12 € bekomme während ihn 1 l Benzin mehr als einen Euro kostet. Es sei daher kostengünstiger, den Weizen zu verbrennen, als Benzin zu verwenden. Nun wird jeder, der nur ein wenig ethisches Empfinden hat, mit allen Mitteln zu verhindern suchen, dass Nahrungsmittel verbrannt werden, um Energie zu gewinnen. Die Folge war, dass andere Wege gesucht wurden. In Deutschland entstanden viele Biogasanlagen. Bio klingt irgendwie freundlich und positiv. Letztlich tun Biogasanlagen aber nichts anderes, als Nahrungsmittel in Energie umzuwandeln, nur mit geringerer Ausbeute. Das folgende Bild zeigt deutlich, welches Ausmaß die Umwandung von Nahrungsmitteln in Energieträger in der EU erreicht hat.

Trotz aller Bedenken, Nahrungsmittel nicht zu ihrer Bestimmung, nämlich der Ernährung von Menschen und Tieren, zu verwenden, gilt: Solange Nahrungsmittel billiger sind als ihr Energiewert, werden findige Techniker Wege finden, um Nahrungsmittel in Energie und Energieträger umzuwandeln. Die Folge ist, dass der Nahrungsmittelpreise solange ansteigt, bis ein Gleichgewicht zwischen dem Verkaufspreis als Nahrungsmittel und dem Verkaufspreis als Energieträger hergestellt ist. Der Anstieg der Lebensmittelpreise in jüngster Zeit bestätigt diese Hypothese.

Weizenpreise 2006 / 2007

Die Koppelung von Nahrungsmittelpreisen und Energiepreisen hat verheerende Auswirkungen auf die Lagerhaltung von Nahrungsmittelreserven. Noch vor wenigen Jahren hatte die Bundesrepublik zum Beispiel Weizenlager, die für die Versorgung von vier Jahren ausgereicht hätten. Die großen Lagerbestände erklären sich durch eine jahrzehntelange Überproduktion in der EG. Die europäische Wirtschaftsgemeinschaft musste über lange Zeit mit künstlichen Maßnahmen die Preise für Nahrungsmittel regulieren, um die Existenz der Landwirte zu sichern. Ohne regulierende Maßnahmen wäre der Preis für Nahrungsmittel soweit abgesunken, dass europaweit die Landwirtschaft zusammengebrochen wäre. Diese Regulierung bestand zum Teil darin, Ernteüberschüsse aufzukaufen und zu lagern. Bekannt sind der „Butter- Berg“ und der „Schweine-Berg“. Weizen wurde maximal vier Jahre gelagert. Ältere Bestände konnten nicht mehr in den Handel gebracht werden. Sonst wären die Lagerbestände sicher noch größer gewesen. Seit es aber möglich ist, Weizen in Biogasanlagen in Energieträger umzuwandeln, sind die Lagerbestände auf wenige Wochen abgesunken. Ein Streik der Hafenarbeiter würde in kürzester Zeit den Mangel aufdecken.

Der Rückgang der Lagerbestände ist nicht nur in Deutschland zu beobachten. Weltweit schrumpfen Lagerbestände, weil Ernteüberschüsse schnell in Energieträger umgewandelt werden können. Dies wiederum kann verheerende Auswirkungen haben, wenn eine Ernte schlecht ausfällt. In den letzten Jahrzehnten hat es solche Situationen vor allem in der Sahelzone gegeben. Durch den Aufkauf  billiger Ernteüberschüsse konnten bisher staatliche und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) tausende von Tonnen Nahrungsmittel in die Gebiete der Not transportieren.

Meine große Sorge ist nun, dass eine Missernte eintritt, aber keine Lagerbestände da sind, welche mit begrenzten Geldmitteln zu erwerben sind und in diese Gebiete transportiert werden können. Mit jeder Steigerung der Ölpreise werden die Nahrungsmittelpreise mit ansteigen. Bei Missernten müssen Katastrophenhilfen zu diesen hohen Preisen auf dem Weltmarkt erworben werden. Insbesondere die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) werden große Probleme haben, die erforderlichen Mengen an Nahrungsmitteln zu erwerben.

Neben der Umwandlung von Nahrungsmitteln in Energieträger gibt es noch weitere Faktoren, die zu einer Verknappung von Lebensmitteln führen werden. Schwellenländer wie China, Indien und Indonesien entwickeln zunehmend eine wohlhabende Mittelschicht, die sich einen höheren Konsum tierischer Nahrungsmittel leistet. In China z. B. muss die zehnfache Menge Mais oder Reis aufgewendet werden, um 1 kg Fleisch zu produzieren. Mit modernen effizienten Tierzuchtmethoden (USA, Europa)  reicht die  drei- bis vierfache Mengen an Grundnahrungsmittel zur Fleischerzeugung. In jedem Fall werden mehr Nahrungsmittel benötigt, wenn der Fleischkonsum ansteigt. In China zum Beispiel ist der Fleischkonsum von 1961 bis 1981 von 20 kg auf über 60 kg im Jahre 2001 angestiegen. In den USA werden 120 kg Fleisch je Einwohner verbraucht.

Mit der Industrialisierung der Schwellenländer tritt ein weiteres Problem auf: Wie wir in der Bundesrepublik gut beobachten konnten, wird im Rahmen der Industrialisierung ein erheblicher Teil der Bodenfläche zum Bau von Straßen und Gewerbegebieten benötigt. Diese Flächen können nicht mehr der Nahrungsmittelproduktion dienen. In Deutschland ist auf diesem Wege circa 1/4 der Produktionsfläche verloren gegangen. In den Schwellenländern werden derzeit Verkehrswege und Gewerbegebiete massiv ausgebaut. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche sinkt also.

Ein weiterer Faktor sind Düngemittel. Stickstoffdünger lässt sich in beliebiger Menge auf chemischem Wege produzieren. Die Produktion benötigt aber extrem viel Energie. Mit steigenden Energiekosten wächst also zwangsläufig der Preis für Düngemittel, die Stickstoff enthalten. Das Bild zeigt die Düngemittelpreise in den USA.

Diese Mehrkosten wirken sich auf den Nahrungsmittelpreise aus. Andere Düngemittel wie Phosphat und Kali werden aus weltweit begrenzten Lagerstätten gewonnen. Die Ausbeutung dieser Lagerstätten lässt sich nicht beliebig fortsetzen. Ein Recycling von Phosphat und Kali ist noch nicht einmal angedacht. Was passieren wird, wenn die Lagerstätten erschöpft sind, lässt sich nur dunkel ahnen.

Die moderne Landwirtschaft verwendet technisch hoch entwickelte Maschinen. Durch den Einsatz dieser Technik konnte er Ertrag vervielfacht werden. Diese Maschinen sind aber teuer und verbrauchen zum Betrieb erhebliche Mengen Treibstoff. Eine Steigerung der Treibstoffkosten führt wiederum zu einer Erhöhung der Nahrungsmittelpreise. Verzichtet man aber auf diese Technik, so brechen die Erzeugermengen empfindlich ein.

Besonders bedrohlich wird die Situation vor dem Hintergrund eines ungehemmten Anstiegs der Weltbevölkerung. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung von 6,67 auf 9,29 Milliarden im Jahre 2050 ansteigen. Speziell wird sich die Bevölkerungszahl in Afrika mit 108% verdoppeln und die Bevölkerung in Asien mit immerhin 34% um 1/3 ansteigen. Während die Industrienationen eine weit gehend stabile zum Teil sogar rückläufige Bevölkerungsentwicklung haben, ist die Geburtenrate gerade in den ärmsten Ländern der Erde unverändert hoch. Während man sich noch in den fünfziger Jahren Gedanken gemacht hat, die Geburtenzahl zu regulieren, galt es in den letzten Jahrzehnten als unethisch, den Wunsch einer Frau nach vielen Kindern zu beeinflussen. Erschwerend kommt hinzu, dass in armen Ländern Kinderreichtum als Mittel zur Alterssicherung gilt. Die Vorstellung, dass für diese vielen Kinder keine Nahrung da sein könnte, wird dabei verdrängt. Während sich Eltern in Industrienationen darüber Gedanken machen, ob sie ihren Kindern auch eine Ausbildung und Zukunftschancen gewähren können, machen sich die Eltern in der armen Ländern darüber keine Gedanken und Glauben, dass allein die hohe Zahl von Nachkommen ihr Alter sichern kann.

Vielleicht verstehen Sie jetzt, was meine Alpträume begründet. Man könnte sich weiter fragen, welche Regionen der Erde besonders bedroht sind. Die reichen Industrienationen werden zwar auch über die steigenden Lebensmittelpreise stöhnen. Aber sie werden trotzdem in der Lage sein, ihre Bevölkerung zu ernähren. Anderswo sieht es schlimmer aus. Arme Länder werden auch bei guten Ernten Probleme haben, teure Nahrungsmittel bereitzustellen. Die reiche Oberschicht armer Länder wird nicht auf  Komfort verzichten, so dass befürchtet werden muss, dass auch diese Länder trotz knapper Nahrungsmittelversorgung Biokraftstoffe erzeugen. Ein Zukauf von Nahrungsmitteln auf dem Weltmarkt dürfte für arme Länder sehr schwer sein. Da sie auch teures Erdöl nicht auf dem Weltmarkt kaufen können, werden sie einen Teil der ohnehin schon knappen Nahrungsmittel in Biokraftstoffe umwandeln. Wenn nun eine Missernte hinzu kommt, so ist die Katastrophe perfekt. Besonders hart wird es die Länder treffen, die sich seit Jahrzehnten weigern, eine Geburtenkontrolle einzuführen. Da die Menge fruchtbaren Bodens weitgehend konstant ist, ist bei dem hohen Geburtenüberschuss insbesondere vieler afrikanischer und asiatischer Länder der Boden für große Katastrophen bereitet.

Was könnte getan werden, um wenigstens das Schlimmste abzuwenden. Zunächst muss die Möglichkeit von Hungerkatastrophen wieder in unser Bewusstsein zurückkehren. Wir sollten uns auch nicht scheuen, Entwicklungsländern, die eine ungehemmte Geburtenentwicklung hinnehmen, klar zu machen, dass man ihnen im Notfall nicht mehr helfen kann. Die Hungerkatastrophe wird ferner jene Länder treffen, die erhebliche Teile des fruchtbaren Landes im Besitz von Großgrundbesitzern und Konzernen halten. Zwar können diese eine effektivere Landwirtschaft betreiben als es kleineren Bauern möglich ist, aber sie werden ihre Produkte auf dem Weltmarkt zu maximalen Preisen verkaufen und nicht zur Abwendung von Hungerkatastrophen im eigenen Lande verwenden. Mit relativ preiswerten Nahrungsmitteln von Großerzeugern werden darüber hinaus kleinere Bauern, die vor allem die eigene Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgen könnten, in wirtschaftliche Not gebracht. Es muss den Regierungen der Staaten, in denen Hungerkatastrophen vorgezeichnet sind, rechtzeitig klar gemacht werden, welche Maßnahmen das Risiko steigern und mit welchen Maßnahmen man das Ausmaß von Hungerkatastrophen eingrenzen kann. Wir Lions sollten unsere Kraft und unseren Einfluss geltend machen, um die Gefahr von Hungerkatastrophen mehr in das öffentliche und politische Bewusstsein zu tragen.

Quellen:

Aleklett, K: Dick Cheney, Peak Oil and the Final Countdown.
24.8.2000: http://www.peakoil.net/Publications/Cheney_PeakOil_FCD.pdf (Ölpreis)

FAO, FOOD AND AGRICULTURE ORGANIZATION OF THE UNITED NATIONS: (Reis und Weizenpreis)2007: http://seekingalpha.com/ (Düngerpreis)

Autor: Jens Bahnsen

Impressum..................................................Zuletzt geändert am 18.01.2009 19:06