Frauke Bahnsen
geb. Rohwer
26.12.1919 – 25.3.2008
Am 25.3.08 ist unsere Mutter nach kurzer, schwerer Krankheit
eingeschlafen.
Frauke wurde als zweites Kind von Hans und Emmi Rohwer am 26.12.1919 in Berlin
Wilmersdorf, im gleichen Stadtteil wie 10 Jahre zuvor mein Vater, geboren.
Hans und Emmi heirateten 1913: Emmi Seeger: die Tochter eines wohlhabenden
Direktors der Schultheiß-Patzenhofer Brauerei in Berlin und Hans Rohwer: das 9.
Kind eines Bauern im kleinen Dorf Nübbel (ca. 5 km. von Rendsburg), dem der
Vater starb, als er 1o Jahre alt war.
Als einziger der 1o Geschwister besuchte Hans das Gymnasium in Rendsburg und
studierte mit einem Darlehen der Sparkasse in Rendsburg an der T.H. in Berlin
Bauwesen mit dem Abschluss eines Diplom-Ingenieurs. Seine Geschwister
bescheinigten ihm 2 linke Hände, mit denen er kein Handwerk erlernen konnte.
Dieses Darlehen zahlte er lange nach ihrer Heirat zurück. Wegen eines schief
angewachsenen Ellenbogens nach einem Sturz vom Pferd hatte Hans nicht gedient
und musste als Landsturmmann in den ersten Weltkrieg. (Alle 7 Brüder Rohwer
nahmen am Krieg teil und überlebten.) Hans wurde in Rumänien durch einen
Kopfschuss schwer verwundet und überstand wohl nur, weil er erst nach mehreren
Tagen gefunden wurde. Er musste später erst wieder sprechen und schreiben
lernen.
Emmi und ihre beiden Schwestern hatten – entgegen den sonst üblichen
Gepflogenheiten der anderen "höheren Töchter" in Berlin - einen Beruf erlernt.
Sie machte ein französisches Lehrerinnenexamen und war perfekt ausgebildet im
Kochen, Nähen und jeder Haushaltsführung. Hans war praktisch und wirtschaftlich
recht unbegabt, so dass Emmi vieles regelte.
Die wohlhabenden Schwiegereltern hatte ihr Vermögen in Kriegs - Anleihen
investiert und alles verloren.
Aus der Zeit in Berlin ist wenig bekannt. 1921 zog die junge Familie nach
Rendsburg. Hans hatte eine Anstellung als Dipl. - Ing. in der Düngerfabrik in
Rendsburg.
Während der Inflation nach dem ersten Weltkrieg (bei der die Großeltern in
Berlin fast ihr ganzes Vermögen einbüßten) war der Wert einer Koks-Aktie, die
der Großvater Emmi zur Hochzeit geschenkt hatte, so gestiegen, dass Emmi und
Hans dafür in Rendsburg ein Haus kaufen konnten: Wilhelmstraße 13, 3-stöckig,
mit Ställen und großem Grundstück. In diesem Haus hat die Familie bis 1934
gewohnt und hier verbrachte Frauke mit ihrem geliebten Bruder Klaus den größten
Teil ihrer glücklichen Kindheit.
Die Wohlstand gewöhnte Mutter Emmi und der aus bäuerlichen Verhältnissen
stammende Hans stritten oft. Frauke erkannte früh, dass Recht haben für den
Familienfrieden nicht immer das wichtigste ist.
Im Jahr 1929 wurde Vater Hans arbeitslos und verlor auch noch viel Geld bei
einem Arbeitsbeschaffungsprogramm; er versuchte mit Arbeitslosen eine Korbfabrik
aufzumachen, aber die Körbe wurden schlecht und unverkäuflich. In
den Schulen bekamen Frauke und Klaus 1/2 Freiplätze (man musste ja Schulgeld
zahlen!) Großmutter Seeger und Tante Käte unterstützten die Familie regelmäßig.
Mutter Emmi knüpfte Teppiche und verkaufte sie.
Frauke 1926 im Alter von 6 Jahren Bruder Klaus und Eltern.
Beim Vater Hans erkennt an an der linken Schläfe die Narbe seines Kopfschusses
im Ersten Weltkrieg und
an der linken Wange die Narben von Degenduellen als
Verbindungsstudent.
1934 bekam Vater Hans eine Anstellung, zuerst beim Deichbau an der Nordsee,
später bei der Straßenbauverwaltung in Kiel. Die Familie siedelte 1934 nach Kiel
über. Sie wohnten zunächst in der Beseler Allee und kauften dann das Haus im
Düsternbrooker Weg 47.
Das Elternhaus in Kiel im Düsterbrooker Weg war ein prächtiges
Bürgerhaus.
Es lag etwa 200 m von der Landesregierung entfernt.
Vom
Balkon im 1. Stock hatte man einen herrlichen Blick auf die Förde.
Ich erinnere
mich gern daran, wie wir als Enkelkinder morgens beim Frühstück auf dem Balkon
die aufgehende Sonne über der Förde genossen haben.
Wegen der merkwürdigen
Dachkonstruktion nannten die Kieler es "umgedrehte Kommode".
Da das Reform-Real-Gymnasium in Rendsburg andere Lehrpläne hatte als das in
Kiel, ging Klaus im Knooperweg in eine Oberschule und Frauke aufs OL I, ab 1936
OL II.
Die Übersiedlung nach Kiel hatte Frauke nicht in guter Erinnerung. Die Mädchen
des dortigen Gymnasiums waren deutlich aggressiver und prügelten sich wie
anderswo die Jungs.
In Kiel begannen Frauke und Klaus zu rudern, Klaus im Ägir, Frauke im
Ravensberg, jeweils im Ruderclub ihrer Schulen. Es wurde regelmäßig trainiert,
bei den Jungen war die Hauptsache das Tempo, bei den jüngeren Mädchen der Stil.
Ein Bild aus dem Jahr 1937 mit Familie.
Das Elternhaus legte auch Wert auf kulturelle Betätigung. Im Wohnzimmer stand
stets ein prächtiger Flügel.
Das Wohnzimmer im Düsternbrooker Weg mit dem Flügel.
Die gesamte Einrichtung mit Bildern, Skulpturen, Musikinstrumenten und prächtigen Teppichen spiegelte insbesondere das kulturell hohe Niveau von Großmutter Emmi wieder.
Auch das Esszimmer war prächtig eingerichtet.
Das Essen wurde von einer Haushälterin serviert und von Tellern der königlich-preußischen Manufaktur eingenommen.
Frauke besaß eine helle, reine Sopranstimme und
erhielt Gesangsunterricht. Später sang sie viele Jahre im Kieler Bach-Chor. Nach
dem Abitur absolvierte der Bruder seinen Wehrdienst bei der Marine. Frauke
beschloss medizinisch technische Assistentin zu werden. Sie war auf diesem
Gebiet sehr erfolgreich, und man vertraute ihr schon mit 26 Jahren die Leitung
eines Labors in der Universitäts – Kinderklinik an.
Die nächsten Jahre waren vom 2. Weltkrieg geprägt. Der Bruder wurde nach
zweijährigem Wehrdienst gleich einbehalten, und musste in den Krieg ziehen.
Frauke arbeitete als medizinisch technische Assistentin in Kriegs - Lazaretten.
Die längste Zeit verbrachte sie in dem U-Boot - Hafen Cherbourg.
Profilbild aus der Zeit in Frankreich im Marinelazarett Cherbourg.
In den ersten
Kriegsmonaten lernte sie einen jungen Heeresoffizier kennen und verlobte sich
mit ihm. Der Krieg zerstörte jedoch die junge Liebe. Der junge Offizier
fiel bei dem Angriff der deutschen Truppen gegen Frankreich.
In Cherbourg machte sie ständig die Erfahrung, dass junge Männer mit U-Booten zu
Kampfeinsätzen ausfuhren und nicht wiederkamen. Daher vermied sie Affären mit
Männern. Die wichtigste Bezugsperson in
dieser Zeit war ihr Bruder Klaus.
Bruder Klaus als junger Matrose.
Umso größer war ihr Entsetzen, als dieser nach dem Untergang des Zerstörers Z35 am 12.12.1944 im Eismeer der nördlichen Ostsee als
vermisst gemeldet wurde.
In Cherbourg gewannen sie unter den dort tätigen medizinisch technischen
Assistenten schnell Anschluss. Diese Freundschaft hat sie nach dem Ende des
Weltkrieges intensiv gepflegt. Bis zum Lebensende haben sich die Freundinnen
geschrieben und mindestens einmal im Jahr besucht. Diese Treffen bezeichnete sie
mit einer gewissen Ironie als „Reichs – Krieger – Treffen“.
1963 traffen sich die MTAs, die gemeinsam im Marinelazarett gearbeitet
hatten, zum "Reichs - Krieger - Treffen" in Legan.
Der Krieg verschonte auch das Elternhaus nicht. Zweimal wurde es von Bomben
getroffen und brannte. Der Brand konnte jeweils gelöscht werden. Beim Löschen
halfen die Marinekameraden von Klaus. Die Wirkung war allerdings fatal. Sie
löschten mit salzigem Ostseewasser, was den Möbeln nicht gut bekam. In ihrem
Eifer warfen sie das Porzellan aus dem Fenster im 1. Stock. Der Hausstand
ging so größtenteils verloren. Zusammen mit den Eltern konnte sie jedoch den
Düsternbroker Weg 47 erhalten.
Eine Geschichte hat sie uns Kindern vom Krieg erzählt: Bei Bombenalarm musste
die Familie immer in den Luftschutzbunker gehen. Aber auch die Bomben wurden
Gewohnheit, und so zögerte sie immer länger, den Bunker aufzusuchen. Eines
Nachts krachte eine Luftmiene in den Garten. Die Druckwelle riss das gesamte
Fensterkreuz ihres Schlafzimmers aus den Angeln und erschreckte Frauke zutiefst.
Von da an ging sie stets nach Beginn des Bombenalarms in den Bunker.
1946 trugen Mutter und Tochter immer noch schwarz, um die Trauer für den
verlorenen Sohn und Bruder Klaus anzuzeigen. Umso größer war ihre Freude, als
Klaus unerwartet aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. Er hatte
sich mit etwa 30 Kameraden auf ein Floß gerettet. Nach drei Tagen in der eisigen
Ostsee waren nur noch zwei am Leben. Ein russisches Schiff nahm sie auf und
überführte sie in ein Gefangenenlager. Dort entwickelte er nach einiger Zeit
Lähmungen. Es handelte sich um die sogenannte Feldpolyneuritis, eine Folge der
Vitamin – B - armen Ernährung in den Gefangenenlagern. Einer russischen Ärztin
verdankte Klaus, dass er nicht als arbeitsunfähig erschossen sondern entlassen
wurde. Die Lähmungen stellten zunächst ein großes Problem dar, zumal die Ursache
zunächst völlig unklar war. Nach einigen Monaten vitaminhaltiger Ernährung
verschwanden die Lähmungen ohne Folgen.
1947 traf Frauke zufällig einen Freund aus Kindertagen wieder.
Carl Bahnsen
hatte in Rendsburg die jungen Mädchen im Schwimmen trainiert. Auch die Eltern
der beiden waren gut bekannt. Carl ging es nach dem Krieg besser als den
Kielern, da er auf dem Lande als Landarzt tätig war. Dort war die Ernährung viel
besser als im zerbombten Kiel. Er versorgte Frauke und ihre Familie mit Essen
vom Lande. Dadurch kam man sich näher. Frauke folgte seinem Heiratsantrag und
wurde Landarztfrau in Legan. Später erzählte Carl scherzhaft, er habe Frauke mit
Leberwurstbrot nach Legan gelockt.
Zunächst logierten die beiden in einem Doppelzimmer der Gastwirtschaft „Zur Margaretenmühle“. In diesem Doppelzimmer wurde auch notdürftig eine Praxis eingerichtet. 1949 kam ich (Jens) in der Gastwirtschaft zur Welt.
Baby Jens auf Mutters Arm.
Die Entbindung leitete der erfahrene Geburtshelfer Carl. Rutchen, eine befreundete Hebamme aus der Cherbourg – Clicque, assistierte ihm. Trotz der eher schwierigen Umgebung in der Gastwirtschaft gab es keine Komplikationen. Im folgenden Jahr wurde die Tochter Frauke geboren.
Mutter Frauke mit Kindern Jens Frauke. Rechts Cousine Marlies.
Mit dem Größer-werden der Familie musste Wohnraum geschaffen werden. Carl konnte von einem Landwirt ein Stück Land erwerben, welches durch den Bau der Kleinbahn merkwürdig als langgezogenes Dreieck abgeschnitten war und dadurch für die Landwirtschaft nicht recht taugte. Hier baute er das Haus, in dem Frauke die nächsten 40 Jahre mit ihrer Familie verbringen sollte. Beraten wurde er von dem Bruder des Schwiegervaters, dem Architekten Hermann Rohwer.
In diesem Haus in Legan lebte Frauke mit Carl seit 1950 bis zum Tod ihres
Ehemannes.
Ihre Kinder wuchsen dort auf und haben auch nach dem Auszug noch
mehrere Jahrzehnte ihr altes Kinderzimmer behalten.
Für die Praxis fehlte bald
ein Wartezimmer. Daher wurde links vorn ein einfacher Holzbau davor gesetzt.
Die Praxis blühte, der Garten musste versorgt werden. Obwohl Frauke ja eigentlich ein Stadtkind war, entwickelte sie erstaunliche Fähigkeiten in der Produktion von Gemüse, Spargel und Gartenblumen. Auch der Obstgarten gedieh prächtig. In ihrem Nachlass fanden sich präzise Aufzeichnungen über Datum und Menge der Spargelernten, der produzierten Marmelade und Fruchtsäfte. Die anstrengenden Arbeiten verrichtete überwiegend Carl. In Planung und Organisation war Frauke allerdings perfekt. Trotzdem blieb noch Zeit, sich um die Kinder zu kümmern.
Mutter Frauke mit Ehering und Ehemann Carl ca. 1958
Hausangestellte waren damals kein Problem, und Frauke hatte die Möglichkeit, sich auch außerhalb des Hauses zu betätigen. Als Mitglied im Landfrauenverein machte sie regelmäßige Unternehmungen mit den Landfrauen, was ihr das Stadtleben teilweise ersetzte. Sie war Mitbegründerin einer Gymnastikgruppe der Landfrauen. Diese Gruppe besteht noch heute. Bis zum 70. Lebensjahr nahm sie an den Treffen teil.
Zu Frauke besonderen Begabungen gehörte es, lange Gedichte zu verfassen. Auf besonderen Geburtstagen und Familienfeiern hat sie diese vorgetragen.
Das Leben auf dem Lande war aber auch nicht konfliktfrei. Während Ehemann Carl
durch seine Jagd und die Beschäftigung mit den selbst angepflanzt Wäldern gut
ausgelastet war, sollte Frauke das Haus hüten. Ob es Anschaffungen, Urlaube oder
Finanzen waren, immer war Frauke das organisatorische Talent. Auf viele frühere
Betätigungen wie das Singen im Chor und das Tanzen musste sie nun verzichten.
Offene Streitereien hat es in den ganzen Jahren niemals gegeben.
Nach mehreren Arzthelferinnen nahm Carl einen sechzehnjährigen Lehrling, Christa
Junge, zur Ausbildung auf. Diese Arzthelferin schlossen beide schnell in ihr
Herz ein. Sie führte nicht nur die Praxisgeschäfte sondern wurde regelrecht
drittes Kind im Hause. Auch nach ihrer Heirat mit Rainer Thun und der Geburt der
ersten Kinder hat sie ihre Tätigkeit fortgesetzt. Ihre Kinder wurden von Frauke
und Carl wie Enkelkinder im Haushalt aufgenommen.
Christa mit Ehemann und 4 Kinder.
Auch nach dem Ende der
Praxistätigkeit blieb die Beziehung sehr intensiv. Sie hat auch Frauke bis zur
letzten Stunde intensiv begleitet.
Ihre eigenen Kinder Jens und Frauke verließen nach dem Abitur den Haushalt und
studierten in Marburg und Hamburg. Dadurch wurde es wieder etwas stiller im
Haus.
Familienfest in Legan. Zu Besuch Sohn Jens mit Frau und 3 Enkelkindern, Tante Ille, Cousine Karin mit 3 Kindern.
Nur kamen einige gesundheitliche Rückschläge. Sie erkrankte an einem Melanom,
aus ihrer damaligen Sicht eine zu 100% tödliche Erkrankung. Heinz Krusius, der
Mann meiner Tante Fridja, war binnen weniger als einem Jahr nach einem Melanom
an Metastasen gestorben. Der schwarze Fleck erschien zunächst gar nicht so
gefährlich und wurde von Carl, ihrem Mann, in der Praxis entfernt. Nach
Vorliegen des Befundes erfolgte eine Nachoperation in der Kieler Hautklinik. Das
Melanom blieb bis zu ihrem Tode rezidiv frei.
Dann wurde sie von heftigen Gelenk- und Wirbelsäulenschmerzen geplagt. Nach
langer Suche fand man als Ursache eine seltene Autoaggressionserkrankung, ein
Sharp – Syndrom. Neben den Gelenkmanifestationen wurde auch ein Herzmuskelbefall
diagnostiziert. Die lebensverkürzende Prognose der Erkrankung stellte sich
jedoch nicht ein. Nach über 10 Jahren wurden die Beschwerden geringer und sie
konnte nach und nach alle Medikamente absetzten.
Dieser Lebensabschnitt endete plötzlich mit einem Schlaganfall von Carl. Durch
diesen Schlaganfall verlor Carl weitgehend die Fähigkeit zu sprechen. Damit
konnte die Praxis nicht fortgeführt werden. Obwohl es Interessenten gab, welche
die Praxis kaufen und übernehmen wollten, hielt Carl an dem Haus fest und setzte
sich jeden Morgen zur üblichen Praxiszeit in seine Praxisräume und las
medizinische Zeitschriften. Der Arzt, welcher die Praxis übernahm, musste in der
Nähe ein neues Haus beziehen. Frauke konnte nicht verstehen, warum sie
weiter in dem Arzthaus leben sollten. Nach dem Tod ihres Mannes vermietete sie
das Haus in Legan und kaufte sich ein Reihenhaus in Rendsburg in der Emil -
Nolde - Straße.
Frauke im Alter von 82 Jahren-immer noch sehr rüstig-im Eingang ihres Hauses in Rendsburg in der Emil - Nolde - Straße.
Hier begann für sie noch eine Reihe von 11 schönen Jahren. Alte
Freundschaften, zum Beispiel mit Gisela Reinhardt, wurden aktiviert. Ein
Leserkreis sorgte für literarische Betätigung. Fahrten mit dem Landfrauenverein
und regelmäßiges Turnen bildeten ihren reichhaltigen Lebensabend.
Bereits damals drohte jedoch ein weiterer Schicksalsschlag. Bei ihrer Mutter
hatte sie beobachten können, welche Folgen ein zunehmender Gedächtnisverlust im
Alter hat. Die Mutter war im Alter von 93 Jahren gestorben und hatte die letzten
Jahre in intensiver Pflege verbracht. Der Gedächtnisverlust hatte sie völlig
hilflos gemacht. Nun stellte sie auch bei sich ein nachlassendes Gedächtnis
fest. Sie kämpfte dagegen an, indem in dem sie Zettel und Listen erstellten.
Irgendwann fand Christa sie in sehr schlechtem Zustand in ihrer Wohnung. Sie
hatte einige Tage Durchfall und Erbrechen gehabt, nur konnte sie sich an nichts
erinnern. Damit war klar, dass sie nicht weiter alleine in ihrem Haus wohnen
konnte. Es erfolgte der Umzug in ein Apartment im Seniorenheim in der
Billundstraße im Hohenwestedt. Zu ihrem großen Glück arbeitete dort Christa als
Altenpflegerin. Zu ihren Kindern nach Tangermünde oder Hannover wollte sie nicht
ziehen, da sie an die bekannte Umgebung gewöhnt war. Bei einem Umzug hätte sie
ihre gesamte Bekanntschaft verloren. Im Seniorenheim führte sie Mode vor, nahm
am Singkreis, der Bastel- und der Küchen-AG teil. Bei den Besuchen war sie sehr
dankbar und freundlich. Sie gewann eine ebenfalls demente Freundin. Mit dieser
trank sie regelmäßig Kaffee und unternahm Spaziergänge, ohne sich zu verlaufen.
Zunehmend vergaß sie ihre Disziplin ihrem Körper gegenüber und langte genussvoll
beim Essen zu. Der Gedächtnisverlust führte zu einer erschreckend schnellen
Vereinsamung. Sie traute sich nicht mehr zu telefonieren, weil sie nicht wusste,
wer am anderen Ende sprach. Auch Besuche wurden umgehend vergessen, so dass sie
das Gefühl hatte, dass keiner sie besuche. Das Ganze steigerte sich noch mehr,
sie vergaß, ob sie gegessen hatte, ob sie geschlafen hatte, und ob Tag oder
Nacht war. Auch das Gehör wurde schlechter, so dass die Telefonate mit den
Kindern mühsam und unergiebig wurden.
In den letzten Wochen vor ihrem Tod erklärte sie, dass sie unbedingt nach Hause
müsse. Sie müsse sich um ihre Eltern kümmern, die schon alt seinen. Das Ende kam
relativ schnell. Durch eine Hirnblutung verlor sie das Bewusstsein. Ohne
aufzuwachen, starb sie am dritten Tag. Kinder und Enkelkinder begleiteten sie
durch die letzten Stunden. Wir werden sie immer unserem Gedächtnis bewahren.
Den Sarg schmückte ein während des Weltkrieges in Paris gezeichnetes Profilbild
von Frauke.
Zu den Erinnerungen gehören auch die Eindrücke anderer:
Wir hoffen, dass Ihr sie so in Erinnerung behalten, wie wir sie von früher
kennen, fröhlich, zupackend und unkompliziert.
Text: Jens Bahnsen (Sohn)
Korrektur: Frauke Bahnsen (Tochter)
unter Verwendung von Textfragmenten von Frauke (Mutter)
Impressum Zuletzt geändert am 26.03.2021 06:32