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Carl Bahnsen

4.4.1910 – 13.12.1988

Vorwort

Erst 30 Jahre nach seinem Tod komme ich dazu, seinen Lebenslauf aufzuzeichnen. Und das, obwohl er eine prägende Bedeutung bei meiner geistigen Entwicklung und Gestaltung meiner Jugend hatte. Während er bei mir  großes Interesse an Naturwissenschaften weckte, fühlte Tochter Frauke sich eher überfordert. Ein wichtiger Grund für die verspätete Darstellung seines Lebens ist das fast vollständige Fehlen von schriftlichen Zeugnissen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte unser Vater in Erwartung des Morgenthau - Plans alle seine Zeugnisse und Unterlagen vernichtet. Der Morgenthau - Plan sah vor, alle deutschen Offiziere und Akademiker zu töten und Deutschland in ein Agrarland zu verwandeln. Carls Plan war, sich als Waldarbeiter auszugeben. Dieser Plan misslang. Bei seiner Gefangennahme nach der Kapitulation durch die Britische Armee musste er an 6 Prüfern vorbei. Der 6. Prüfer war angeblich ein Jude. Dieser sah ihn nur an und prüfte seine Hände, die keine Spuren der Waldarbeit aufwiesen. Dann sagte er: „Sie sind kein Waldarbeiter“. Bestraft wurde er für seine offensichtliche Lüge nicht. So hat er denn nach seiner Entlassung 1946 in der Gastwirtschaft in Legan ohne alle Papiere eine allgemeinmedizinische Praxis gegründet. Bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1986 hat ihn nie jemand nach seinem Staatsexamenszeugnis gefragt.

Die Kindheit

Carl wurde am 4.4.1910 als 2. Kind des Postbeamten Hermann Bahnsen und seiner Frau Dorothea in Berlin geboren.

Dorothera mit Fridja und Carl

Mutter Dorothea, links Schwester Fridja, rechts Carl, 1916

Er wuchs zusammen mit 3 Schwestern, Fridja, Irma und Magda auf.
Carl als Kind

Carl 1914 vier Jahre alt mit Uniform

1914 begann der Erste Weltkrieg. Vater Hermann wurde eingezogen. Als Postler musste er auch im Krieg die Post über die weite Etappe durch Feindesland befördern. Er war überwiegend in Russland eingesetzt. Da er gut Russisch konnte, überlebte er manche gefährliche Missionen. Das veranlasste ihn, auch seinen Sohn Carl Russisch lernen zu lassen, was ihm später im Zweiten Weltkrieg nützlich war. Die Familie litt in dieser Zeit große Not. Mutter Dorothea war zwar ohne höhere Schulbildung, aber sehr klug in der Beschaffung von Lebensmitteln und der Versorgung ihrer Familie. Eine Ziege sorgte für die benötigte Milch. Carl musste schon früh Futter für die Ziege besorgen. Mit Fahrrad und Sichel war er unterwegs und schnitt an den Wegrändern Grass. Seine hohe Armkraft führte er später auf sein Training mit der Sichel zurück.

Kattowitz

Als Postbeamter wurde Vater Hermann oft versetzt. Die nächste Station war Kattowitz im damals deutschen Oberschlesien. Das schmutzige Kohlerevier war von vielen Polen bevölkert. Diese waren den Deutschen sehr feindlich gegenüber eingestellt. Dann ertönte der Ruf "Niemiecki- Niemiecki" und die Verfolgung begann. Carl musste mit Faust und Messer um sein Leben kämpfen. Dieses frühe Kampftraining sollte später eine Grundlage für seine sportlichen Leistungen und für sein Selbstbewusstsein sein.

Rendsburg

Die nächste Versetzung des Vaters führte nach Rendsburg. Dort besuchte Carl das Gymnasium. Er empfand die Jungen dort als extrem friedfertig und schlapp. In der Zeit in Oberschlesien musste er sich täglich seiner Haut wehren. Ein solches Problem kannten die Kinder hier nicht. So galt er bald als Raufbold und Lausbub. Diese Rolle hat er gerne angenommen. Er bekam den Spitznamen "Pipin der Kleine".  Die älteste Schwester Fridja hatte schon früh Verehrer. Carl bekam für die Vermittlung von Rendezvous oft Süßigkeiten zugesteckt. Zusammen mit seinem Freund Jochen haben sie viele Streiche ausgeheckt. Später begründete er diese Streiche damit, dass sein Freund schwer depressiv gewesen sei und er ihn immer habe aufmunternd müssen. Sie gingen in eine Drogerie und verlangten ein Pfund Dynamit. Der Verkäufer fragte freundlich, ob das für seinen Vater sei. "Nein," erwiderte er, "ich brauche das selber". Gott sei Dank wurde das Dynamit nicht verkauft. Einmal simulierten sie einen Selbstmord durch einen Sprung von der ca. 15m hohen Rendsburger Drehbrücke in den Nord-Ostsee-Kanal. Es gab einen großen Menschenauflauf. Carl sprang von der Brücke. In der Zeitung stand am nächsten Tag "... doch dann schwamm er lächelnd an Land." Zeitweise gab es wohl auch Probleme in der Schule, denn er musste eine Klasse wiederholen. Der Grund war mangelnde Rechtschreibung. In Rendsburg begann auch seine Karriere als Kraulschwimmer. In dem Kinofilm Tarzan und Jane hatte er den Titelhelden kraulen gesehen. Diese Schwimmtechnik war in Europa noch unbekannt und er ahmte sie nach. Bald konnte er schneller schwimmen als alle Vereinskameraden.

Meldorf

Als nächstes wurde Vater Hermann 1932 nach Meldorf versetzt. Ob Carl dort auch gewohnt hat, ist unklar. Wahrscheinlich befand er sich schon im Studium. Häufig war er jedoch dort bei Eltern und Schwestern zu Besuch.

Berlin

Nach dem Abitur beschloss Carl, Medizin zu studieren. Er bekam einen Studienplatz in Berlin. In der Fasanenstrasse fand er eine Bleibe. Dort trat er in die Turnerverbindung "ATV zu Berlin" ein. Er blieb der Verbindung bis zu seinem Tod als Alter Herr verbunden. In Berlin setzte er sein Schwimmtraining fort. Höhepunkt war der Titel des Deutschen Meisters bei den Studentenwettbewerben. Seine Bestzeit im Kraulschwimmen blieb 30 Jahre lang in Rendsburg Vereinsrekord. Nach seinem Physikum stellte er sein Schwimmtraining vollständig ein und widmete sich nur noch der Klinischen Medizin.

Graz

In der damaligen Zeit war es üblich, an mehreren Universitäten studiert zu haben. So wechselte er ins österreichische Graz. Wie lange er dort blieb, ist nicht überliefert. Bei einer klinischen Visite fragte ein Patient, weshalb er solche Schmerzen habe. Der Professor antwortete: "Das sind nur die Metastasen, guter Mann." Da antwortete der Patient: "Na, dann bin ich ja beruhigt."

Kiel

Seine nächste Station war die Universitätsklinik Kiel. Dort begann er eine Promotion. Es ging um die Erforschung der Funktion der Nebenniere. Dazu wurden jungen Ratten die Nebennieren entfernt und dann Präparate gespritzt, welche die Hormone der Nebennieren ersetzen sollten. Die sehr diffizile Operation an kleinen Ratten konnte mein Vater als einziger schnell und zuverlässig ausführen. Er bekam sogar eine kleine Entlohnung dafür. Die massive Unterstützung der Arzneimittelfirma Promonta beeindruckte ihn damals sehr. Im Gegensatz dazu war der akademische Apparat  eher ärmlich ausgestattet. So war ein Oberarzt an der Berliner Charité nicht in der Lage gewesen, den Beitrag der Ärztekammer zu zahlen, weil sein Gehalt zu niedrig war. Als Sohn eines Postbeamten war die Finanzierung des Studiums für die Eltern schon mit Entbehrungen verbunden. Über das Studium hinaus eine wissenschaftliche Karriere anzufangen, war nicht möglich. Ein weiterer Grund war Carls Abneigung gegen Hierarchien. Er hatte eigene Ideen und ließ sich nicht gern vorschreiben, was zu tun sei. So verließ Carl nach Studium und Promotion die Universität.

NSDAP

Als Carl wissenschaftlich in der Kinderklinik der Universität Kiel arbeitete, forderte der Institutsleiter ihn auf, in die NSDAP einzutreten. Die Begründung war etwas seltsam. Der Institutsleiter selber war nicht in der NSDAP und war deshalb verschiedenen Repressalien ausgesetzt. Er sagte zu meinem Vater, wenn seine Mitarbeiter sich ebenfalls der Partei verweigern würden, sei die Arbeit des Institutes gefährdet. Mein Vater war ein unpolitischer Mensch. Er war Leistungssportler gewesen, hatte den Leistungssport jetzt aufgegeben und strebte eine wissenschaftliche Laufbahn an. So fügte er sich dem Wunsch des Institutsleiter und trat in die Partei ein. Die Pflichten eines Parteimitgliedes bestanden nach seinen Ausführungen im Wesentlichen darin, zweimal in der Woche an stundenlangen Aufmärschen teilzunehmen. Dieses fand er ziemlich doof. So blieb er immer mal wieder diesen Aufmärschen fern. Eines Tages wurde er von einem Parteifunktionär harsch zur Rede gestellt, warum er so häufig bei den Parteiversammlungen fehle. Was sei denn wohl wichtiger - die Medizin oder die Partei. Mein Vater erwiderte sehr selbstsicher: "Die Medizin natürlich!". Daraufhin wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Er hat allerdings davon keine Nachteile gehabt.

Itzehoe

In der damaligen Zeit war die Chirurgie die absolute Krönung der Medizin. In Berlin hatte Carl die grandiosen Erfolge von Professor Sauerbruch kennengelernt. So war es sein Wunsch, Chirurg zu werden. Er nahm eine Assistentenstelle in Itzehoe an. Sein dortiger Chef führte aber alle Operationen selbst durch und dachte gar nicht daran, seine Assistenten zu Chirurgen auszubilden. Nachdem sein Chef auf eine entsprechende Forderung nicht reagiert hatte, kündigte er seine Stelle in Itzehoe.

Stavenhagen

Voller Tatendrang übernahm er eine chirurgische Praxis  in Stavenhagen.

 Praxis Stavenhagen

Seine Schwestern führten zeitweise seinen Haushalt dort. Neben einer umfangreichen Ambulanz führte er auch kleine Operationen durch. Es gab auch eine chirurgische Pflegestation. Der Tagessatz war mit 5 Reichmark sehr gering. Allerdings blieben die Patienten zienlich lange und mussten nach Besserung bei der Pflege helfen, denn es gab nur eine Krankenschwester. Der Zweite Weltkrieg beendete diese harmonische Zeit.

Christa

Carl liebte Christa Hoffmann aus Rendsburg. Der Vater war Offizier. Im Jahr 1939 führte er mit Carl ein ernstes Gespräch. Ein Krieg stünde unmittelbar bevor. Er drängte ihn zur Hochzeit. 4 Wochen vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs haben die beiden geheiratet.

 Christa

Christa Bahnsen, geb. Hoffmann 1944

Eine richtige Ehe ist es nie geworden. Die kurzen Fronturlaube waren kein Ersatz für ein reguläres Eheleben. Hinzu kam, dass die Beziehung kinderlos blieb. Carl vermutete eine Genitaltuberkulose. Für Carl waren Kinder eine wichtige Voraussetzung für eine Ehe. Seine 3 Schwestern waren nach mehrfachen Abtreibungen steril. Am Ende des Krieges stand nur noch eine Scheidung. Christa heiratete später einen Mann mit 4 Kindern. Carl hatte noch eine Beziehung zu einer anderen Frau aus dem Elsass. Diese soll auch ein Kind von ihm geboren haben, die Verbindung ist aber verloren gegangen. Tochter Frauke hat er erzählt,  diese Frau wollte ihr Kind ihm und seiner kinderlosen Ehefrau überlassen. Durch die Kriegswirren habe er die Frau und den Sohn nie wieder gesehen. Sie sei vielleicht im Krieg umgekommen oder sie habe es sich anders überlegt, das Kind behalten und die Beziehung zu Carl beendet.

2. Weltkrieg

Im Zweiten Weltkrieg wurde Carl zur Legion Condor eingezogen. Diese Luftwaffeneinheit hat traurige Berühmtheit bei ihrem Eingreifen in den spanischen Bürgerkrieg erlangt. Legion Condor

Carl mit seiner Truppe

Zeitweise flog die Einheit Angriffe von Wien aus. Carl gehörte als Arzt eigentlich nicht zum fliegenden Personal. Er galt aber als sehr tapfer. Deshalb wurde er häufiger aufgefordert, als Beobachter mit zu fliegen. Der Beobachter lag in einer Plexiglaswanne am Boden des Flugzeugs. Von dort sah er bei StuKa-Angriffen die Granaten des Abwehrfeuers anfliegen und neben sich explodieren. Beim Abfangen des Sturzfluges schalteten die Piloten auf eine Automatik um. Durch die gewaltigen Fliehkräfte verloren sie regelmäßig (ohne den Druckanzug der heutigen Piloten) das Bewußtsein. Nach einigen Minuten kamen sie wieder zu sich, wenn die Maschine nicht zerschellt war. Später bekannte mein Vater, dass er sehr viel Angst gehabt habe. Er habe diese nur nicht gezeigt. Bei der Ausbildung zum Piloten verlor die deutsche Wehrmacht ca. 1/3 der Auszubildenden. Carl musste nach einem Absturz immer zur Unglücksstelle fahren und den Tod des Piloten feststellen. Der Ausdruck “ ungespitzt“ bedeutete einen Absturzwinkel über 45° und somit den sicheren Tod. Die Maschinen brannten nach dem Absturz aus und die Leichen der Piloten waren bereits hochgradig verbrannt. Sehr beeindruckt hat ihn auch, dass das Aluminium der Flugzeuge vollständig verbrannte, während der Sprengstoff TNT als großer weißer Block übrig blieb. Zu seinen engen Freunden zähle der Pilot Putfarken. Er wurde bei einem Feindflug getötet.

Später war die Einheit gemeinsam mit der 6. Armee in Stalingrad. Einmal fuhren sie durch einen Wald in dem eine russische Division vor deutschem Artilleriefeuer Schutz gesucht hatte. Die russischen Soldaten waren fast alle tot. Sie wussten nicht, dass der Wald keinen Schutz bietet, weil die Granaten in den Wipfeln explodieren und den gesamten Boden mit tödlichen Splittern abstreuen. Einmal musste er zahlreiche Verwundete aus einem Eisenbahnzug versorgen. Auf der Fahrt war der Zug mit Maschinengewehrfeuer beschossen worden. Die dünne Wand der Waggons bot keinerlei Schutz vor Gewehrskugeln. Das war den Passagieren unbekannt. Russische Kriegsgefangene wurden an der Front fair behandelt. Es war aber bekannt, dass die "Grauen", stramme NSDAP - Genossen, hinter der Front schlecht mit den Gefangenen umgingen. In der Ukraine war seine Einheit in einem Partisanengebiet eingesetzt. Welchem Truppeneinheit er genau angehörte, ist nicht überliefert. Es fielen jedoch die Ortsnamen Poltawa, Slowansk und Schitomir. Über den Ausgang war er sich früh im klaren. Bereits 1942 hörte er ein vertrauliches Gespräch führender Offiziere, die allein aufgrund der Nachschubsituation eine Niederlage des Deutschen Reiches für sicher erachteten. Dieses öffentlich auszusprechen, war damals allerdings lebensgefährlich.

Durch seine Russisch-Kenntnisse hatte er gute Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung und machte regelmäßig Sprechstunden für Russen. Das war eigentlich streng verboten. Aber die Russen dankten es ihm, indem sie ihn vor Angriffen warnten. So zeigten sie ihm bei einer Autofahrt, wie man an einem geknickten Zweig erkennen konnte, dass hier eine Sprengfalle aufgestellt war. Insgesamt empfand Carl die Russen als sehr sympathisch, hilfsbereit und den Deutschen freundlich zugewandt. Sie begrüßten die Befreiung vom Kommunismus. Viele konnten Deutsch und verstanden daher die Gespräche der deutschen Soldaten untereinander. Umgekehrt konnten nur wenige Deutsche russisch, so das ihnen die Gespräche der Russen unbekannt blieb. Erst die Grausamkeiten der "Grauen" gegen Kriegsgefangene und die einheimische Bevölkerung führte zu einem gefährlichen Kippen der Stimmung gegen die Deutschen.

Seine Arbeit als Chirurg unter Feldbedingungen war abenteuerlich. Unter dem fahrbaren Sterilisationsgerät wurde zunächst Feuer gemacht, um die nötige Hitze zum Sterilisieren der Instrumente zu erzeugen. Alles Material wurde wieder verwendet. Die Skalpelle der Kriegsausrüstung befinden sich noch funktionstüchtig in meinem Besitz. Wenn die Witterung es erlaubte, so legte Carl einen kleinen Gemüsegarten an. Einige Male konnte er auch die Ernte genießen, weil er zu der Zeit zufällig wieder am gleichen Ort Quartier machte.

Seinen Kindern erzählte Carl freimütig von seinen Erfahrungen im Krieg. Dieses sei im Frieden gar nicht vorstellbar. Nach einer Schlacht sehe es etwa so aus, wie wenn man zwischen Rendsburg und Hohenwestedt (ca. 30 km)  alle 4 m eine Person auf die Fahrbahn legen würde und dann mit einem Lastwagen über sie herüber fahren würde. Ansonsten passiere im Krieg wenig. Nie wieder habe er so viel freie Zeit gehabt wie im Krieg. Die meiste Zeit liegen die Truppen in Bereitschaft. Carl nutzte die Zeit zum Schnitzen von Holzfiguren. Seine Schachfiguren sind kleine Meisterwerke.
Schachfiguren
Von Carl während des Krieges geschnitzte Schachfiguren.

Als der Kessel von Stalingrad sich schloss, wurden die Vorräte immer knapper. Sein treues Panje-Pferdchen wurde durch Nahrungsmangel immer schwächer und blieb irgendwann ganz stehen, sodass er es erschießen musste. Dann bekam Carl Gelbfieber. Er wurde aus dem Kessel ausgeflogen. Nach  seiner Genesung war keine Flugverbindung in den Kessel mehr möglich. So überlebte er den Untergang der 6. Armee. Später sagte er, bei Gelbfieber würde die eine Hälfte sterben und die andere Hälfte mit Hirnschaden überleben. Jedenfalls wurde er wieder vollständig gesund.

Im Jahr 1945 bekam er einen Einsatzbefehl nach Berlin Adlershorst zum Endkampf um Berlin. Ihm war klar, dass das ein Himmelfahrtskommando war. Mit dem Fahrrad machte er sich auf den Weg. Sein Ziel war aber nicht Berlin, sondern das vertraute Schleswig-Holstein. Dort würde er auch der russischen Gefangenschaft entgehen. Tagsüber versteckte er sich in den Wäldern. Nachts beobachtete er die Signalfeuer der Wachen und konnte so sehen, wo sich die deutsche und die britische Front befand. Bei Nacht mit dem Fahrrad auf unbeleuchteten Straßen tastete er sich nach Schleswig-Holstein.

 mit Uniforn 1945

1945 mit Uniform

Auf seiner Flucht war Carl bis zur Drehbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal gekommen. Dort stellte ihn ein SS - Mann. Die etwa 50 Mann starke SS - Einheiten hielten bei Rendsburg 50.000 Mann reguläre Truppen in Schach und verhinderte die Kapitulation. Die SS-Leute gingen alle davon aus, dass sie aufgrund ihrer Verbrechen nach Kriegsende ausnahmslos hingerichtet würden. Daher kämpften sie sehr verbissen, um das Kriegsende hinauszuzögern. Carl galt als Deserteur und ihm drohte die Hinrichtung. Daher eröffnete er das Feuer und schoss sich den Weg frei. Er versteckte sich bei seinen Eltern in Rendsburg und übernachtete im Bett des Vaters. Später wurde erzählt, dass Carl durch die Flucht und die Kämpfe völlig fertig und psychisch sehr labil gewesen sei. Bei seinen Eltern habe er sich aber schnell wieder stabilisiert.

Gefangenschaft

Über die Zeit in britischer Gefangenschaft ist wenig überliefert. Nach der Ankunft im Lager wurden alle Gefangenen auf nationalsozialistische Tätigkeiten überprüft. Carl war zwar vor dem Krieg in die NSDAP eingetreten, wurde jedoch hinausgeworfen, weil er sich nicht an den Aktivitäten der Partei beteiligen wollte.  Durch sein Schwimmtraining hatte er kräftige Arme und breite Schultern. So glaubte er sich als Waldarbeiter verkaufen zu können. Diese Täuschung fiel allerdings schnell auf. Ein Nachteil ist in dadurch nicht entstanden. Sehr lange kann der Lageraufenthalt nicht gewesen sein.

Kurz nach seiner Gefangenschaft erreichte ihn die Nachricht, dass seine Mutter nach einer Brustkrebsoperation eine schwere Infektion der Achselhöhle habe. Die Engländer besaßen damals bereits Penicillin. In Deutschland war Penicillin dagegen nicht verfügbar. Er schaffte es aber, für seine Mutter Penicillin von den Engländern zu besorgen. Als er bei ihr eintraf, war sie bereits an einer Sepsis gestorben.

Legan

Nun wandte sich Carl von Rendsburg nach Süden und fand in einem Gasthof in der Nähe einer Straßenkreuzung eine Unterkunft. Es war die Margareten - Mühle in Legan, die heute noch besteht. Legan war zwar keine Gemeinde und bestand nur aus einer Hand voll von Häusern. Durch seine Lage an einer Straßenkreuzung und durch eine Kleinbahn - Haltestelle hatte sich hier aber viel Gewerbe angesiedelt: eine Mühle, ein Schlachter, ein Schmied, ein Stellmacher und ein Düngerhandel. Durch eine Verladestation der Kleinbahn konnte auch Vieh gehandelt werden. Ein solcher Ort schien gut geeignet für die Eröffnung einer Praxis. Im Seitentrakt des Gasthofes fing Carl an, Patienten zu behandeln. Er hatte großen Zulauf und wurde meistens mit Naturalien bezahlt, so das er keine Not litt. Hausbesuche machte er mit einem Motorrad über desolate Sandwege. Später konnte er sich ein P4-Fahrzeug mit Holzvergaser leisten. Zunächst musste das Holz angezündet werden. Mit der Hitze wurde Holz vergast und das Gas im Motor verbrannt. Später sagten die Bauern über ihn: "Met nix is he ankum! En Pappschachel het he hat. Un nu het he alns!" (Mit nichts ist er angekommen! Eine Pappschachtel hat er gehabt. Und nun hat er alles!)

Heirat mit Frauke

Auf einem Tanzfest traf er Frauke Rohwer. Die Familien kannten sich aus der Rendsburger Kindheit. Die 10 Jahre jüngere Frauke hatte er im Rendsburger Turnverein als kleines Mädchen im Schwimmtraining erlebt. Jetzt war sie eine erwachsene Frau und leitete als MTA ein Forschungslabor der Universität Kiel. Carl erzählte später, er habe Frauke mit Leberwurstbrot nach Legan gelockt. Tatsächlich war die Stadtbevölkerung damals sehr schlecht versorgt, während die Landbevölkerung keinen Mangel hatte. Carl war durch die Bauern in seiner Praxis gut versorgt und gab Fraukes Familie in Kiel gerne etwas ab. 1948 heirateten sie.

 Hochzeit mit Frauke

Hochzeit Frauke und Carl 1948

Familie und Praxis

Ein Jahr nach der Heirat kam Jens im Wirtshaus zur Welt. Als Frauke erneut schwanger wurde, reichte der Platz im  Wirtshaus nicht mehr aus. Nun war es gar nicht so leicht, einen geeigneten Bauplatz zu finden. Zufällig wurde durch den Bau der Kleinbahn ein merkwürdiges langgestrecktes 3-eckiges Stück von einer  großen Wiese abgeschnitten und war für den Bauern wertlos. Für wenig Geld konnte Carl dem Bauern Reese das Grundstück abkaufen. Mit diesem Bauern, der später auch sein Jagdgenosse wurde, unterhielt Carl bis zu dessen Selbstmord eine Freundschaft. Carl und Frauke bauten auf diesem Grundstück in Legan ein Haus, in dem genug Platz für Kinder und Praxis war. Den Bauplan erstellte der Architekt Hermann Rohwer, ein Bruder von Opa Hans Rohwer. Die Tochter wurde noch vor dem Einzug ins neue Haus geboren und erhielt ebenfalls den Namen Frauke.

Richtfest

Richtfest 1950 in Legan

Die fünfziger und sechziger Jahre waren durch Arbeit und Sparsamkeit geprägt. Jede gesparte Mark wurde in den Ausbau der Praxis gesteckt. Autoputzen

Familie Bahnsen putzt den gemütlichen Merzedes 180D

Neben einem Auto besaß Carl bald auch ein EKG-Gerät, damals noch ein teurer, schwerer, mit Röhren betriebener Kasten. Auch hatte er als einer der ersten in der Region ein Funksprechgerät, welches ihn über 30 km erreichbar machte. Auf diese Weise konnte er auf die Jagd gehen, und war trotzdem von Zuhause über Funk erreichbar. Für einen praktischen Arzt ungewöhnlich war auch die Anschaffung eines Röntgengerätes. Die Durchleuchtungseinrichtung hatte einen ein Fluoreszenzbildschirm. Ich durfte gelegentlich mit in den Dunkelraum. Erst nach 20 Minuten Dunkelheit waren die Augen empfindlich genug, um auf dem Bildschirm etwas zu erkennen. Die Röntgenfilmaufnahmen entwickelte Mutter Frauke im Keller. Dort standen Entwickler, Wasserbad und Fixierer. Anschließend kamen die Bilder zum Trocknen auf die Wäscheleine.
Auf dem Türschild der Praxis stand „praktischer Arzt und Geburtshelfer“. Das war wörtlich zu nehmen. Über 30 Jahre war Carl als Geburtshelfer tätig. Die Bauern der Region waren stolz darauf, wenn ihre Kinder auf dem Hof zur Welt kamen. Das lief dann in etwa so ab: wenn sich Wehen ankündigten, fuhr die Hebamme, eine korpulente, gutmütige Frau, zu dem Hof und richtete sich dort häuslich ein. Es wurde Wäsche abgekocht, sauberes Wasser bereitgestellt und das Bett für eine Entbindung hergerichtet. Wenn die Geburt bevorstand, wurde der Arzt gerufen und die Geburt in häuslicher Umgebung abgewickelt. Ernsthafte Komplikationen hat Carl nie erlebt. Als ich dann Geburtshilfe in der Universitätsklinik Hamburg lernte, machte ich meinem Vater massive Vorwürfe, wie er unter solchen Bedingungen Geburten leiten könne. Carl pflegte dann zu sagen: "Wenn das Kind kommt, bist du ganz alleine! Dann nützt dir deine ganze Universitätsklinik gar nichts. In diesem Moment kommt es darauf an, die Nerven zu behalten und das Richtige zu tun.“ Damit hatte er sicher recht. Im Falle einer Komplikation hätte er heute allerdings große Probleme, sich zu verteidigen. Er schilderte auch eine Szene aus seiner Studentenzeit in Kiel. Der damals renommierte Ordinarius für Gynäkologie, Professor Bumm, war beim Entwickeln eines Kindes sehr ungeschickt. Das Kind starb unter der Geburt, obwohl der gesamte Apparat einer Universitätsklinik zur Verfügung stand.

Carl hat die vielen Jahre über seine Praxis so geführt, dass er stets für seine Patienten erreichbar war, auch nachts wurde er gerufen und an den Wochenenden. Es gab kein Weihnachten und kein Ostern ohne einen Patientenbesuch. Es kam auch vor, dass Patienten am Wochenende hinter das Haus in den Garten kamen, um behandelt zu werden. Carl hatte stets ein hohes Verantwortungsgefühl für seine Patienten. Wenn er selber krank war, so nahm er sich wenig Schonraum. Trotz heftiger Schmerzen durch eine Nierenkolik, durch Nierensteine verursacht,  ließ er sich auf eigene Verantwortung vorzeitig entlassen und arbeitete weiter. Nach einem selbst diagnostizierten Herzinfarkt verweigerte er die Krankenhausaufnahme, blieb zu Hause und machte 3 Tage später schon wieder Hausbesuche.
Er war sehr stolz darauf, die Gebührenordnung nicht zu kennen. Er sagte: „Wenn ich die Gebührenordnung kenne, so kann ich als Arzt nicht mehr wertfrei urteilen.“ Dass er trotzdem ein wohlhabender Mann wurde, lag sicher an dem kaufmännischen Geschick seiner Frau, die im Hintergrund alles notierte und abrechnete.

Von der Lehrzeit bis zum Ende der Praxis unterstützte Christa Junge, später verheiratete Thun, als Sprechstundenhilfe die tägliche Arbeit. Carl war Geburtshelfer, als Christa in Claustal auf die Welt kam. Als Christa dann selber Mutter von 4 Kindern wurde, ermöglichten Carl und Frauke es, dass sie weiter arbeitete, in dem sie ihre Kinder als Säuglinge und Kleinkinder mit zur Arbeit mitbringen konnte. Da die eigenen Kinder zu diesem Zeitpunkt schon im Studium waren, waren Christas Kinder eine willkommene Belebung des Hauses.


Familie 1957

Carl mit Frau und Kindern 1957

Auch im Garten war immer viel zu tun. Mutter Frauke führte akribisch Buch über die Zahl der gestochenen Spargel. Vater Carl war eher praktisch veranlagt. Fast täglich verbrachte er die Mittagszeit im Garten mit Umgraben, Haken und Ernten. Auch Tiere fehlten nicht. Neben Hunden waren Katzen, eine Ziege, Hähne, Gänse und Kaninchen auf dem Grundstück. Frauke erinnert sich daran, dass die Ziege Rattengift fraß und daran starb. Auch mit Dackeln gab es viel Probleme. Jedes Mal, wenn die kleinen Dackelrüden eine läufige Hündin entdeckten, waren sie tagelang unterwegs und wurden irgendwann überfahren. Dann wurde die Cockerhündin Susi angeschafft, die mehrfach zahlreiche Junge zur Welt brachte.

Die Schwestern

Zu seinen 3 Schwestern hatte Carl bis zum Tod kontinuierliche Beziehungen. Alle 3 Tanten blieben kinderlos. Sie hatten aber großes Interesse an Carls Kindern. Häufig waren wir bei Tante Fridja Bahnsen-Krusius in Fockbeck zu Besuch.

Hochzeit Fridja

Hochzeit von Fridja (3. von links) mit Heinz Krusius  (rechts)

Sie war die älteste der 4 Geschwister und verdiente ihren Lebensunterhalt mit Gartenbauarchitektur. Privat malte sie viele Blumenbilder und umgab sich mit viel Kunst. Zu Konflikten mit Mutter Frauke kam es regelmäßig, weil sie unangemeldet kurz vor dem Mittagessen hereinschneite. Das Essen musste dann gestreckt werden.   Die zweite Schwester, Irma war in Bad Aibling, am Alpenrand  in Bayern, mit dem  Versicherungskaufmann Walter Pfeiffer verheiratet.

 Schwestern

Links Irma, rechts Magda mit ihrem geliebten Pepi (Großvater Herrman Bahnsen).

Walter Pfeiffer machte nach Postkartenvorlagen Öl-Kopien von Gaughin mit Einheimischen am Strand von Java, er die gut verkaufen konnte. Wenn Carl mit seiner Familie nach Grado oder Davos fuhr, so kehrte er oft bei Irma ein.

Schwester Magda war mit einem wohlhabenden Handelsvertreter, Werner Scharf, verheiratet. Dieser kaufte ständig neue Autos und führte sie der Familie vor. Nach mehrfachem Ortswechsel kauften sie eine schöne Villa in Gräfelfing, einem Stadtteil im Süden von München. Sie kauften auch ein Segelboot am Starnberger See. Neben Segeln machte Onkel Werner professionelle Fotos mit einer teuren Linhoff-Kamera. Nach einer Umstrukturierung des Arbeitgebers war Werner plötzlich arbeitslos und musste auf seine teuren Hobbys und das Haus verzichten. Er versuchte das Hobby der Fotografie zu seinem Beruf zu machen und fotografierte zum Beispiel die Segelboote der Kieler Woche. Der große Gewinn blieb aber aus. Den Lebensabend verbrachten Magda und Werner bei ihrer Schwester Irma in Bad Aibling in einer Mietswohnung.

ADV zu Berlin

Während seiner Studentenjahre in Berlin trat Carl in die nicht schlagende Turnerverbindung ADV zu Berlin ein. Die Freundschaften dieser Verbindung hielten bis ins hohe Alter. In der Verbindung erhielten alle Studenten einen Biernamen. Carl wurde Bärchen getauft.

 ATV

ATV-Stammbaum von Heim "Hecht". "Bärchen" Bahnsen mit Pfeil markiert

Gelegentlich kamen Bundesbrüder auf der Durchreise zu Besuch. Darunter waren auch ärztliche Kollegen aus der DDR. Diese verließen in Scharen die DDR, nicht wegen des geringeren Verdienstes, sondern weil ihre Kinder beim Abitur behindert wurden und nicht studieren durften. Mit dem Bau der Mauer wurde der Exodus beendet. Einmal im Jahr trafen sich alle in Barsinghausen. Dort stand ein Fußball - Trainingszentrum ein Wochenende zur Verfügung. Die ganze Familie kam mit und trieb Sport. Daneben wurde auch tüchtig gefeiert.

Die Jagd

Carl war passionierter Jäger. Nach dem Erwerb von Wäldern schloss er sich einer Genossenschaftsjagd an. Bei Genossenschaftjagden gepachtet eine Gruppe von 10-20 Jägern ein großes zusammenhängendes Land meistens einer Gemeinde. Auf Versammlungen bespracht die Jägergruppe, wie viele Tiere von welcher Art erlegt werden sollen. Vorher wurde der Bestand möglichst genau gezählt und die Veränderung zum Vorjahr notiert. Alle größeren, geschossenen Tiere gehörten der Genossenschaft und wurden mit Gewinn verkauft. Beim Jagen nahm Carl häufig uns Kinder mit. Wir  konnten uns allerdings fürs Schießen nicht erwärmen, übernahmen aber gerne das Zerlegen der geschossenen Tiere. Für Jens war das Zerlegen von toten Tieren eine Möglichkeit, sich mit dem Körperbau zu beschäftigen. Er lernte auch, den Ekel zu überwinden, der viele daran hindert, sich mit medizinischen Arbeiten zu beschäftigen. Damals gab es reichlich Kaninchen. An manchem Abend kehrten Carl mit mehreren Kaninchen nach Hause zurück. Mutter Frauke war darüber nicht erfreut. Spät abends musste sie noch das Wildbret positionieren und einfrieren. Wild stand regelmäßig auf dem Speisezettel der Familie. Häufig wurden auch Pilze gesammelt und ohne Vergiftung verzehrt. Die Hunde sollten immer mit jagen. Das klappte allerdings selten. Unsere 3 Dackel waren ja höchstens für die Kaninchenjagd zu brauchen. Der Deutsch-Drahthaar-Jagdhund Raudie war nicht schussfest und daher bei der Jagd nicht verwendbar. Wider erwarten zeigte die Cockerspaniel-Hündin Susi aber ausgesprochenes Jagdtalent und schaffte es immer wieder, das Wild aus dem Dickicht zu holen und den Jäger zu zu treiben. Auch bei Treibjagden war sie sehr beliebt. Höhepunkt der Jagd war für Carl das Erlegen eines kapitalen Rothirsches. Dieses wurde feierlich zelebriert.

 Hirsch

Jäger und Nachbarn bestaunen den Hirsch.

Hirsch Weltausstellung

Das Geweih bekam eine hohe Punktzahl und wurde sogar zur Weltausstellung nach Ungarn geschickt.

 

Die Wälder

Überraschend erwarb Carl ein Stück Heideland in der Katzheide. Dieses war als Unland ausgewiesen. Neben Heide wuchsen dort nur mannshohe Krüppelkiefern. Carl hatte den Ehrgeiz, einen Hochwald anzulegen. Später berief er sich immer auf Goethes Faust. In der Schlussszene des 2. Teils wird die Urbarmachung von Land als höchstes Ziel deklamiert. Unter erheblichem Einsatz ist ihm dieses Ziel gelungen. Zunächt haben Kettenfahrzeuge mit einem Grundhaken den Fossboden (Ortstein) gebrochen. Dieser bildet sich an der Grundwassergrenze eisenhaltiger Grundwässer und bildet eine harte, für Baumwurzeln und Tiefenwasser undurchdringliche Schicht. Dann wude nach gründlicher Düngung ein Sommer Kartoffeln angebaut. In den gut vorbereiteten Boden wurde nun gepflanzt. Der Wald gedieh prächtig. Es hat ihm große Achtung unter den Bauern eingebracht. Katsheide Luftbild
Drohnenbild der Katsheide von Björn Bahnsen März 2020. Die ohne Nadeln hellgrau. Einige Windbruchzonen ohne Baumbestand.

Später erwarb Carl weitere Grundstücke am Stitz, in Pollhorn und im Ochsenweg. Über viele Jahrzehnte verursachten die Wälder nur Kosten ,ohne jemals Erträge zu erwirtschaften. Das war der Naturschutz ihm aber wert.

Weiterbildungsurlaube

Carl legte großen Wert auf Weiterbildung. Neben dem regelmäßigen Lesen eines 10-bändigen Standardwerks mit Ergänzungsblättern machte er einmal im Jahr einen Weiterbildungsurlaub. Als Urlaubsorte wurden Davos oder Grado gewählt. Die Familie konnte Skifahren oder Baden. Der Vater besuchte vormittags die Vorträge.

 am Strand

Carl mit Frauke in Grado bei Venedig

 

Forschung

Carl musste aus wirtschaftlichen Gründen nach dem Studium auf eine wissenschaftliche Karriere verzichten. Er hatte immer den Vorsatz, mit den Einkünften seiner Praxis auch wissenschaftliche Arbeit zu finanzieren. Zu seinen Projekten gehörte die Fließfähigkeit des Blutes. Er vermutete, dass viele Krankheiten und Symptome auf zu dickflüssigem, wenig fließfähigem Blut beruhen würden. Er entwickelte Rotations-Viskosimeter und baute Prototypen. Er bekam dafür sogar ein Patent. Er setzte auch Blutegel ein, um das Blut dünnflüssiger zu machen. Patienten mit metabolischem Syndrom (Übergewicht, hoher Blutdruck, Zuckerkrankheit) infizierte er mit einem Rinderbandwurm. Durch den hohen Energieverbrauch des Parasiten, nahmen die Patienten schnell ab, Blutdruck und Zuckerstoffwechsel besserten sich. Letztlich scheiterten seine Versuche, Wissenschaft zu betreiben, daran, dass er keine Verbindung zu wissenschaftlichen Organisationen wie Forschungslabors, Universitätskliniken oder wissenschaftlichen Fachgesellschaften hatte. Diese Erfahrung motivierte mich, den schwierigen Weg einer Universitätslaufbahn zu versuchen.

Der Halleysche Komet

Bei Carls Geburt 1910 stand der Halleysche Komet am Himmel. Dieser kehrt alle 76 Jahre wieder. Carl hatte immer die Vorstellung, dass sein Leben zu Ende sei, wenn der Komet wieder zu sehen sei. Diese Vorstellung hat ihn durch den Weltkrieg begleitet und ihm die Zuversicht gegeben, dass er überleben würde. Im Jahr 1986 war der Komet wieder da. Carl ignorierte ihn einfach. Es durfte auch keiner das Gespräch auf den Halleyschen Kometen bringen. Tatsächlich erlitt Carl im gleichen Jahr einen schweren Schlaganfall, der sein Sprachzentrum traf und damit zumindest sein geistiges Leben weitgehend beendete.

Die letzten Jahre

Nach seinem Schlaganfall konnte er den Arztberuf nicht mehr ausführen. Mithilfe seiner Frau wurde das Praxis-Quartal noch beendet. Nach einer Erholung war eine begrenzte Kommunikation wieder möglich. Er war aber sehr unglücklich, dass sein Gehirn so massiv beschädigt war und er nicht mehr als Arzt arbeiten konnte. Er konnte sich nicht entschließen, die Praxis zu verkaufen. Sein Nachfolger baute für die Praxis ein neues Haus in der Nähe. Jeden Morgen ging Carl in sein Sprechzimmer und las medizinische Zeitschriften. Bereits seit Jahren hat er die Ansicht vertreten, dass ein Mensch das Ende seines Lebens selbst bestimmen sollte. Er hatte Kriterien für ein lebenswertes Leben aufgestellt. Im Laufe der Jahre wurden seine Ansprüche mit den gesundheitlichen Einschränkungen immer bescheidener. Am Ende war das Kriterium: "Wenn man sich nicht mehr freuen kann, so sollte man sein Leben beenden."  2 Jahre später stürzte er und brach sich den Schenkelhals. Die Fraktur konnte mit einer Endoprothese versorgt werden. Nach Entlassung in die Häuslichkeit lernte er nach 14 Tage wieder laufen. Er nutze am 13.12.1988 die Abwesenheit seiner Frau, um sich eine Überdosis Morphium zu spritzen. Beim Eintreffen seiner Frau war er schon tot. Ich befand mich mit meiner Frau Andrea gerade mitten in einem Umzug und war dabei die neue Mietwohnung in Hamburg einzurichten. Daher war ich  telefonisch zunächst nicht zu erreichen. Die Polizei hat ausgeholfen. Zum unserem großen Erschrecken standen plötzlich 2 Beamte in Uniform vor der Tür. Nach Überbringen der Nachricht ließen wir alles stehen und liegen und fuhren noch in der Nacht mit dem Auto nach Legan. Zufällig war es eine sternenklare Nacht und zahlreiche Sternschnuppen waren vom Auto aus zusehen. Es war wie ein Zeichen des Himmels. Die Sternschnuppen gehörten zum Meteorstrom der Geminiden. Als beide in Legan eintrafen, war Carls Leiche schon abtransportiert. Eine Beerdigungsunternehmerin redete auf Frauke ein und wollte mit ihr die Einzelheiten der Beerdigung, wie z.B. die Farben der Schleifen,  besprechen. Das empfanden Jens und Andrea völlig unangemessen und baten energisch darum, nicht in der Todesnacht solche Gespräche zu führen.

Meine Schwester Frauke kam am nächsten Morgen von Hannover aus nach Legan. Sie war erschüttert, daß ihr verstorbener Vater nicht mehr im Haus war. Obwohl Carl nicht in der Kirche war, fand eine große Trauerfeier mit vielen Gästen in der evangelischen Kirche in Jevenstedt statt. Seine Urne wurde zunächst in der Rohwerschen Grabstätte in Kiel beigesetzt. Frauke veranlasste die Überführung der Urne aud den Neuwerker Friedhof in Rendsburg. Dort ist die jetzige Grabstätte neben seiner Frau Frauke. Sein besonderes Herzblut galt immer den von ihm angepflanzten Wäldern. Deshalb haben wir in der Katsheide in dem Wald, den er mit viel Mühe angelegt hatte, einen Gedenkstein aufgestellt.

Gedenkstein

Mutter Frauke am Gedenkstein ihres Mannes in der Katsheide

Seine langjährige Arzthelferin Christa Thun schrieb: Was euer Vater sehr gut konnte: er liebte Eugen Roth und Joachim Ringelnatz. Gerne zitierte er aus den spitzfindigen Gedichten. Er hatte außerdem ein ganz feines Gespür dafür, wenn ein Patient eine besondere oder seltene Krankheit hatte, dies erkannte er sehr schnell. Ich bin ihm heute noch dankbar für alles, was ich bei ihm gelernt habe. Das kommt mir häufig im Alltag zugute.

Bei einem Klassentreffen der Herderschule nach 50 Jahren war ich erstaunt, wie präsent Vater Carl meinen Mitschülern war. "Der hat sich ja richtig mit uns Kindern beschäftigt!" Das war damals wohl die Ausnahme.

Text: Sein Sohn Jens Bahnsen, wesentliche Beiträge und Korrektur durch seine Tochter Frauke Bahnsen


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